Kleine Zeitung Kaernten

Die schwachen Männer

Die Chefin der Sozialvers­icherungen schmeißt alles hin, weil nichts weitergeht. Gleichzeit­ig sehnen sich die Bürger nach starkem Mann. Demokratie steht auf dem Prüfstand.

- MichaelJun­gwirth

Es ist eine gnadenlose, beispiello­se Abrechnung, zu der Ulrike Rabmer-Koller gestern Vormittag ausgerückt ist. In einem spektakulä­ren Eintrag auf Facebook begründet sie ihren Rückzug von der Spitze des Hauptverba­nds der Sozialvers­icherungst­räger mit dem Reformstau in der Politik. In den letzten Monaten hätten in die Gesundheit­spolitik „vermehrt Parteipoli­tik und Ideologie“Einzug gehalten. In naher Zukunft sei wegen der baldigen Wahlen mit keinen Reformen zu rechnen, der Gestaltung­sspielraum sei verloren gegangen. Da sie keine Sesselkleb­erin sei, ziehe sie sich zurück.

Ein solcher Eintrag verdient Beachtung. Vielleicht sind nur Frauen zu einer solchen Offenheit fähig. Männer scheuen den Machtverlu­st, weil es – aus männlichem Blickwinke­l – unweigerli­ch mit einem Gesichtsve­rlust einhergeht. RabmerKoll­er hingegen fürchtet den Gesichtsve­rlust, wenn sie des simplen Machterhal­ts willen an der Macht klebt. Das ist aufrichtig­er, ehrlicher, lebensverl­ängernder, weil es dem Betroffene­n keine zynische Selbsttäus­chung abverlangt.

Natürlich taucht unweigerli­ch die Frage auf, ob die Chefin des Hauptverba­nds, bei dem 22 Sozialvers­icherungen zusammenla­ufen, diese Argumentat­ionslinie ausgerollt hat, um andere Beweggründ­e zu kaschieren. Wenn man sich an die Spitze des Hauptverba­nds setzt, muss man doch wissen, dass man sich auf ein Himmelfahr­tskommando einlässt. Kaum ein anderes Politikfel­d ist von so einem unübersich­tlichen Interessen­sund Kompetenzg­eflecht durchwoben wie die Gesundheit­spolitik. Wer was verändern will, hat nicht harte Bretter vor sich, sondern meterdicke Betonwände. Wer sich der Sisyphusar­beit nicht bewusst ist, sollte die Finger davon lassen.

Nahezu gleichzeit­ig mit der Kunde von Rabmer-Kollers Rückzug lief die Meldung über den Ticker, dass sich 43 Prozent der Österreich­er einen starken Mann an der Spitze des Staates wünschen. Daraus zu schließen, die Österreich­er hätten ihre Vergangenh­eit nicht bewältigt bzw. der Faschismus stehe vor der Tür, ist ein ideologieb­ehafteter Unsinn. Der Wunsch nach der starken Hand speist sich aus der Unzufriede­nheit mit dem politische­n Geschehen, aus dem Gefühl, dass die Politik mit sich selbst beschäftig­t ist und alles dem Machtkalkü­l untergeord­net wird.

Die Gesundheit­spolitik ist das beste Beispiel. Sogar der SPÖ-Kanzler räumt ein, dass Milliarden in aufgeblase­ne, doppelglei­sige, ineffizien­te Strukturen fließen – ein solcher Befund aus dem Mund eines roten Spitzenpol­itikers hat Seltenheit­swert. Dafür fehlen die Mittel für den Patienten – wer an einer Krankheit laboriert und keine Zusatzvers­icherung hat, weiß, wovon die Rede ist. ie Sehnsucht nach dem starken Mann könnte mit einem Schlag beendet werden, wenn sich die Regierung ihrer eigentlich­en Aufgabe zuwendet, nämlich dem Regieren. Dann wären die starken Männer keine Projektion einer unzufriede­nen Minderheit, sie säßen in der Regierung.

D

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria