Die schwachen Männer
Die Chefin der Sozialversicherungen schmeißt alles hin, weil nichts weitergeht. Gleichzeitig sehnen sich die Bürger nach starkem Mann. Demokratie steht auf dem Prüfstand.
Es ist eine gnadenlose, beispiellose Abrechnung, zu der Ulrike Rabmer-Koller gestern Vormittag ausgerückt ist. In einem spektakulären Eintrag auf Facebook begründet sie ihren Rückzug von der Spitze des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger mit dem Reformstau in der Politik. In den letzten Monaten hätten in die Gesundheitspolitik „vermehrt Parteipolitik und Ideologie“Einzug gehalten. In naher Zukunft sei wegen der baldigen Wahlen mit keinen Reformen zu rechnen, der Gestaltungsspielraum sei verloren gegangen. Da sie keine Sesselkleberin sei, ziehe sie sich zurück.
Ein solcher Eintrag verdient Beachtung. Vielleicht sind nur Frauen zu einer solchen Offenheit fähig. Männer scheuen den Machtverlust, weil es – aus männlichem Blickwinkel – unweigerlich mit einem Gesichtsverlust einhergeht. RabmerKoller hingegen fürchtet den Gesichtsverlust, wenn sie des simplen Machterhalts willen an der Macht klebt. Das ist aufrichtiger, ehrlicher, lebensverlängernder, weil es dem Betroffenen keine zynische Selbsttäuschung abverlangt.
Natürlich taucht unweigerlich die Frage auf, ob die Chefin des Hauptverbands, bei dem 22 Sozialversicherungen zusammenlaufen, diese Argumentationslinie ausgerollt hat, um andere Beweggründe zu kaschieren. Wenn man sich an die Spitze des Hauptverbands setzt, muss man doch wissen, dass man sich auf ein Himmelfahrtskommando einlässt. Kaum ein anderes Politikfeld ist von so einem unübersichtlichen Interessensund Kompetenzgeflecht durchwoben wie die Gesundheitspolitik. Wer was verändern will, hat nicht harte Bretter vor sich, sondern meterdicke Betonwände. Wer sich der Sisyphusarbeit nicht bewusst ist, sollte die Finger davon lassen.
Nahezu gleichzeitig mit der Kunde von Rabmer-Kollers Rückzug lief die Meldung über den Ticker, dass sich 43 Prozent der Österreicher einen starken Mann an der Spitze des Staates wünschen. Daraus zu schließen, die Österreicher hätten ihre Vergangenheit nicht bewältigt bzw. der Faschismus stehe vor der Tür, ist ein ideologiebehafteter Unsinn. Der Wunsch nach der starken Hand speist sich aus der Unzufriedenheit mit dem politischen Geschehen, aus dem Gefühl, dass die Politik mit sich selbst beschäftigt ist und alles dem Machtkalkül untergeordnet wird.
Die Gesundheitspolitik ist das beste Beispiel. Sogar der SPÖ-Kanzler räumt ein, dass Milliarden in aufgeblasene, doppelgleisige, ineffiziente Strukturen fließen – ein solcher Befund aus dem Mund eines roten Spitzenpolitikers hat Seltenheitswert. Dafür fehlen die Mittel für den Patienten – wer an einer Krankheit laboriert und keine Zusatzversicherung hat, weiß, wovon die Rede ist. ie Sehnsucht nach dem starken Mann könnte mit einem Schlag beendet werden, wenn sich die Regierung ihrer eigentlichen Aufgabe zuwendet, nämlich dem Regieren. Dann wären die starken Männer keine Projektion einer unzufriedenen Minderheit, sie säßen in der Regierung.
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