Mehr Chancen für Kinder
Es ist eine traurige Tatsache, dass Kinder aus bildungsfernen Familien im Alter von zehn Jahren gegenüber Kindern aus Akademikerfamilien drei Jahre im Rückstand sind.
Wenn es eine „unendliche Geschichte“gibt, dann ist es die Bildungsdebatte.
Momentan erhitzen Schulautonomie, Schulcluster und Bildungsdirektionen die Gemüter. Dass mit so viel Leidenschaft diskutiert wird, ist kein Wunder. Denn wie gut das Bildungssystem ist, bestimmt nicht nur die Chancen jedes Einzelnen. Auch unser Zusammenleben wird ganz entscheidend davon geprägt.
Die Schule bringt uns ja nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen bei, jedenfalls sollte sie das. Sie trägt auch dazu bei, wie wir unsere Rolle in der Gesellschaft sehen. Als kleines Rädchen in einem großen Getriebe, dessen Lauf wir nicht beeinflussen können, oder als Bürger, die ihre demokratischen Rechte selbstbestimmt und eigenverantwortlich wahrnehmen.
W enn wir auf die eigene Schulzeit zurückblicken und überlegen, was uns besonders geprägt hat, dann werden es immer die guten Lehrer sein. Viel weniger Spuren hinterlassen die Strukturen, die Verwaltung, der Lehrplan. Das ist ja auch nur natürlich. Denn es ist die Zuwendung eines Menschen, die motiviert und inspiriert. Eines Menschen, den wir mögen und gleichzeitig respektieren.
Die logische Schlussfolgerung müsste sein, dass es in der Bildungsdebatte vor allem darum geht, wie man die am besten dafür geeigneten Persönlichkeiten gewinnen kann, in Schulen zu unterrichten.
D och wir alle wissen, dass es nicht so ist. Da geht es um die Zuständigkeiten von Bund und Ländern, um die Schulverwaltung, um die Finanzierung, um Strukturfragen und, wenn überhaupt, dann ganz am Rande um die Eignung für den Beruf einer Lehrerin oder eines Lehrers. Dabei müsste die Bedeutung dieser Frage auf der Hand liegen.
Das zeigt der Erfolg der (privaten) Initiative „Teach for Austria“. Unter dem Motto „Das ist die Gegenwart – die Zukunft gestaltest du“wird um Absolventinnen und Absolventen verschiedener Studienrichtungen geworben.
Sie sollen zwei Jahre lang in Brennpunktschulen unterrichten. Für die jungen Leute besteht der Anreiz darin, dass sie damit „Leadership“beweisen können. Und zwar nicht, indem sie zum Erfolg eines Unternehmens beitragen, sondern indem sie die Chancen von Kindern aus bildungsfernen Familien verbessern.
Denn es ist eine traurige Tatsache, dass Kinder aus bildungsfernen Familien im Alter von 10 Jahren gegenüber Kindern aus Akademikerfamilien drei Jahre im Rückstand sind. Um diesen Rückstand aufholen zu können, brauchen sie jemanden, der an sie glaubt, der ihr Selbstvertrauen stärkt. Und das tun die „Teach for Austria“-Fellows.
Oft reicht der Unterricht in der Schule nicht aus, um Kindern Mut zu machen, Pläne für ihre Zukunft zu schmieden und die Pläne dann auch umzusetzen.
Genau hier setzt eine andere (ebenfalls private) Initiative an, das Sindbad Mentoringprogramm. Studierende und junge Berufstätige werden ausgebildet, um 13- bis 14-Jährigen zu helfen, sich zwischen weiterführender Schule und Lehrberuf zu entscheiden.
Sie begleiten Kinder aus bildungsfernen Familien, die sich oft gar nicht vorstellen können, weiter in die Schule zu gehen oder eine Ausbildung zu machen. Der einfache Grund ist, dass sie niemanden kennen, der das getan hat. Ihnen hilft die Begegnung mit den jungen Leuten, an sich zu glauben und sich zuzutrauen, die weiterführende Schule zu schaffen oder eine Lehre erfolgreich abzuschließen.
B ei beiden Initiativen, bei „Teach for Austria“und beim Sindbad Mentoringprogramm, geht es um benachteiligte Kinder. Und beide setzen auf die Zuwendung von Menschen, denen es ein Anliegen ist, dass ihre Schützlinge etwas aus sich machen.
Dazu brauchen Kinder Selbstvertrauen, und das Selbstvertrauen stärkt die Begegnung mit Menschen, die an einen glauben. Das wird jeder aufgrund eigener Erfahrungen bestätigen.
Wie wichtig daher dieses Engagement für die ganze Gesellschaft ist, leuchtet unmittelbar ein. Denn die Kinder sind unsere Zukunft. Wie diese Zukunft aussehen wird, bestimmen die Lehrer und Lehrerinnen entscheidend mit. Frei nach Bill Clinton („It’s the economy, stupid“) könnte man sagen: It’s the teacher, stupid.
„Gute Lehrer haben weit mehr Spuren hinterlassen als die Strukturen, die Verwaltung, der
Lehrplan.“
Irmgard Griss war Präsidentin des Obersten Gerichtshofs und Präsidentschaftskandidatin