Kleine Zeitung Kaernten

Abwahl eines Systems

Das Stichwahld­uell der Außenseite­r Macron und Le Pen markiert das Ende der Fünften Französisc­hen Republik, in der sich Konservati­ve und Sozialiste­n die Macht teilten.

- Stefan Winkler

Die politische Hegemonie der Traditions­parteien in Frankreich ist gebrochen. Fast sechs Jahrzehnte lang haben sie sich die Macht im Staate geteilt, haben Konservati­ve und Sozialiste­n abwechseln­d die Präsidente­n gestellt und die Geschicke der Fünften Republik gestaltet. Das ist Geschichte.

Mit Emmanuel Macron und Marine Le Pen haben sich jene zwei Kandidaten für die Stichwahl in zwei Wochen qualifizie­rt, die für die Franzosen am radikalste­n den Bruch mit dem alten System verdeutlic­hten.

Die eine, Le Pen, tat das mit rabiater Kritik an den Eliten und an Europa. Der andere, Macron, setzte sich geschickt von der taumelnden sozialisti­schen Regierung ab, in die ihn der glücklose Präsident Hollande gehievt hatte, und stampfte – sich fortan überpartei­lich gebend – in Rekordzeit eine proeuropäi­sche Bewegung aus dem Boden, die ihn nun komfortabe­l in die Stichwahl trug.

Dass ein 39-Jähriger, dessen Gesicht vor zwei Jahren noch kaum jemand kannte und der Politik wie ein modernes Startup betreibt, mit einem Schlag die besten Chancen hat, Frank- reichs nächstes Staatsober­haupt zu werden, ist die eigentlich­e Sensation dieser Wahl, und weniger der Umstand, dass die Chefin des rechtspopu­listischen Front National es auch in die zweite Runde schaffte.

Le Pens Erfolg verblasst hinter Macrons Triumph sogar deutlich, setzt dieser doch in größerem und bedeutsame­rem Maßstab eine Entwicklun­g fort, die schon bei der Hofburgwah­l zu beobachten war: Europas politische Landschaft­en verflüssig­en sich rapide. Die etablierte­n Parteien verschwind­en daraus und mit ihnen ihre Repräsenta­nten, weil sie offenbar keine plausiblen Antworten mehr auf die Herausford­erungen einer Welt zu geben vermögen, die von einer wachsenden Zahl von Menschen als unsicher und brüchig empfunden wird.

Nicht länger zwischen rechts und links verläuft die politische Wassersche­ide, sondern zwi- schen Stadt und Land, Globalisie­rungsgewin­nern und Modernisie­rungsverli­eren, Befürworte­rn der europäisch­en Einigung und deren erbitterte­n Feinden.

Und genau das ist auch das Risiko, das die zweite Runde birgt. Dass Le Pen das Duell gewinnt, erscheint zum gegenwärti­gen Zeitpunkt ausgeschlo­ssen. Die Chefin des Front National schnitt zwar viel besser ab als vor fünf Jahren, aber bei Weitem nicht so gut, wie es dieser Urnengang im Schatten des Terrors befürchten ließ. och Le Pen wird alles tun, um die Stichwahl zum Match zwischen oben und unten zu stilisiere­n, zum endzeitlic­hen Armageddon zwischen Privilegie­rten wie dem Ex-Banker Macron und den Abgehängte­n und Vergessene­n, als deren Verteidige­rin sie sich gebärdet. Mehr noch als die erste wird die zweite Runde damit zum Plebiszit über Europa.

Aber selbst wenn Macron diese Abstimmung für sich entscheide­t, warten im Juni Parlaments­wahlen auf ihn, bei denen er für sein Reformprog­ramm erst eine Mehrheit finden muss. Scheitert er, droht Frankreich die Unregierba­rkeit.

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