Abwahl eines Systems
Das Stichwahlduell der Außenseiter Macron und Le Pen markiert das Ende der Fünften Französischen Republik, in der sich Konservative und Sozialisten die Macht teilten.
Die politische Hegemonie der Traditionsparteien in Frankreich ist gebrochen. Fast sechs Jahrzehnte lang haben sie sich die Macht im Staate geteilt, haben Konservative und Sozialisten abwechselnd die Präsidenten gestellt und die Geschicke der Fünften Republik gestaltet. Das ist Geschichte.
Mit Emmanuel Macron und Marine Le Pen haben sich jene zwei Kandidaten für die Stichwahl in zwei Wochen qualifiziert, die für die Franzosen am radikalsten den Bruch mit dem alten System verdeutlichten.
Die eine, Le Pen, tat das mit rabiater Kritik an den Eliten und an Europa. Der andere, Macron, setzte sich geschickt von der taumelnden sozialistischen Regierung ab, in die ihn der glücklose Präsident Hollande gehievt hatte, und stampfte – sich fortan überparteilich gebend – in Rekordzeit eine proeuropäische Bewegung aus dem Boden, die ihn nun komfortabel in die Stichwahl trug.
Dass ein 39-Jähriger, dessen Gesicht vor zwei Jahren noch kaum jemand kannte und der Politik wie ein modernes Startup betreibt, mit einem Schlag die besten Chancen hat, Frank- reichs nächstes Staatsoberhaupt zu werden, ist die eigentliche Sensation dieser Wahl, und weniger der Umstand, dass die Chefin des rechtspopulistischen Front National es auch in die zweite Runde schaffte.
Le Pens Erfolg verblasst hinter Macrons Triumph sogar deutlich, setzt dieser doch in größerem und bedeutsamerem Maßstab eine Entwicklung fort, die schon bei der Hofburgwahl zu beobachten war: Europas politische Landschaften verflüssigen sich rapide. Die etablierten Parteien verschwinden daraus und mit ihnen ihre Repräsentanten, weil sie offenbar keine plausiblen Antworten mehr auf die Herausforderungen einer Welt zu geben vermögen, die von einer wachsenden Zahl von Menschen als unsicher und brüchig empfunden wird.
Nicht länger zwischen rechts und links verläuft die politische Wasserscheide, sondern zwi- schen Stadt und Land, Globalisierungsgewinnern und Modernisierungsverlieren, Befürwortern der europäischen Einigung und deren erbitterten Feinden.
Und genau das ist auch das Risiko, das die zweite Runde birgt. Dass Le Pen das Duell gewinnt, erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausgeschlossen. Die Chefin des Front National schnitt zwar viel besser ab als vor fünf Jahren, aber bei Weitem nicht so gut, wie es dieser Urnengang im Schatten des Terrors befürchten ließ. och Le Pen wird alles tun, um die Stichwahl zum Match zwischen oben und unten zu stilisieren, zum endzeitlichen Armageddon zwischen Privilegierten wie dem Ex-Banker Macron und den Abgehängten und Vergessenen, als deren Verteidigerin sie sich gebärdet. Mehr noch als die erste wird die zweite Runde damit zum Plebiszit über Europa.
Aber selbst wenn Macron diese Abstimmung für sich entscheidet, warten im Juni Parlamentswahlen auf ihn, bei denen er für sein Reformprogramm erst eine Mehrheit finden muss. Scheitert er, droht Frankreich die Unregierbarkeit.
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