Brüssel geht gegen Orbán vor
Kommission leitet Vertragsverletzungsverfahren ein, EVP erwägt Ausschluss. Bedrohte Uni darf nun offenbar doch bleiben.
Zwischen der ungarischen Regierung und der Europäischen Union fliegen – wieder einmal – die Fetzen: Die Kommission leitete gestern ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Budapest ein. Der ungarische Premier wetterte im Gegenzug vor dem EU-Parlament heftig gegen Brüssel. Und innerhalb der Europäischen Volkspartei (EVP) mehren sich gewichtige Stimmen, die die EVP-Mitgliedschaft von Orbáns Fidesz-Partei aussetzen möchten. „Die EVP muss bei ihrem Gipfel am Samstag Farbe bekennen“, forderte Othmar Karas, der ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament.
Hintergrund des Vertragsverletzungsverfahrens sind einerseits das umstrittene Hochschulgesetz der Orbán-Regierung sowie der Fragebogen zu einer unter dem Motto „Stoppt Brüssel“stehenden Volksbefragung. Aus Sicht der Kommission sind darin „einige Angaben falsch oder irreführend“.
In der EVP sorgen in Verbindung mit den von der Kommission beanstandeten Streitpunkten
vor allem Orbáns Glückwünsche an den türkischen Präsidenten Erdog˘an für Empörung, der sich kürzlich in einem umstrittenen Referendum seinen eigenen Machtausbau absegnen ließ.
Orbán wies gestern vor dem EU-Parlament alle Vorwürfe zurück, er sei dabei, Demokratie, Wissenschaft und Rechtsstaatlichkeit in Ungarn einzuschränken. Ungarn engagiere sich in der EU, aber „wir sind mit einigen Dingen nicht zufrieden“. Die zentraleuropäische Universität (CEU) in Budapest, die sich durch das neue Hochschulgesetz vor der Zwangsschließung sieht, sei „nicht in Gefahr“, so Orbán. Und eine Umfrage zu „Stoppt Brüssel“sei „ja wohl kein Verbrechen“.
Orbán inszeniert sich seit Jahren als Rebell gegen die EU. In früheren Streitfällen wurden Gesetzesvorhaben, die in Widerspruch zum EU-Regelwerk zu geraten drohten, letztlich so weit entschärft, dass die Kommission besänftigt wurde oder juristisch keine weitere Handhabe dagegen hatte. Orbáns Aussagen in Bezug auf die CEU scheinen ein Einlenken zu bedeuten; die endgültige Entscheidung bleibt abzuwarten. In der EVP hofft man auf einen Kompromiss: Fraktionschef Manfred Weber bat Orbán, die Wünsche der Kommission umzusetzen. Gleichzeitig verteidigte er ihn. „Man darf Ungarn nicht zum Schreckgespenst Europas machen“, so Weber.