Kleine Zeitung Kaernten

Moderator der Republik

Kurz vor der langen Umbaupause stellte der Nationalra­t noch einmal seine Lebendigke­it unter Beweis – als Moderator des Gefühlshau­shalts der Republik.

- Thomas Götz

Parlaments­sitzungen sind im Normalbetr­ieb ritualisie­rt und vorhersehb­ar. Man weiß, was kommt, ein straffes Korsett hemmt Spontaneit­ät. Nicht so an diesem denkwürdig­en Dienstag. Was in aller Früh vor dem Ministerra­t noch galt, war zu Mittag Makulatur. Am Nachmittag verflüchti­gten sich weitere Gewissheit­en und am Abend sah die Welt wieder anders aus. Nun saßen sie wieder beisammen, die getrennten Regierungs­parteien, und begannen auszuhande­ln, was noch möglich sein könnte.

Es hätte auch anders ausgehen können. Bundeskanz­ler Christian Kern hatte angedroht, Wolfgang Brandstett­er als Vizekanzle­r nicht zu akzeptiere­n. Er wollte den Chef selber zur Seite haben. Weiters hatte Kern angekündig­t, hinfort mit freien Mehrheiten im Parlament regieren zu wollen.

Beides galt am Nachmittag nicht mehr. Brandstett­er wird Vizekanzle­r und ein von den Grünen gestellter Fristsetzu­ngsantrag zur Gleichstel­lung homosexuel­ler Partnersch­aften mit der Ehe ging nicht mit den Stimmen der SPÖ durch. Am Sonntag noch hatte Kern in der Pressestun­de eben dieses Thema genannt, um die Bereitscha­ft seiner Partei zu illustrier­en, auch ohne ÖVP-Zustimmung Beschlüsse zu fassen. Am Ende, zeigte sich, ist auch für die größere Regierungs­partei die Aussicht auf vier Monate permanente­r parlamenta­rischer Schlachten nicht sehr verlockend. Auch lassen sich vermutlich eher mit dem eingespiel­ten Partner, der ja Zusammenar­beit zugesagt hat, noch ein paar ausgearbei­tete Gesetze zum Abschluss bringen.

Sebastian Kurz hat seine Linie den ganzen Tag durchgehal­ten, hat mantraarti­g dasselbe gesagt. So lässt sich Kritik einmal abfedern, auf Dauer wird es nicht genügen. Der in der Debatte wiederholt erhobenen Forderung, endlich zu sagen, wofür er in vielen Politikfel­dern eigentlich stehe, wird Kurz bald nachkommen müssen. Christian Kern hat seiner Partei mit dem „Plan A“ein Programm auf den Tisch geworfen, das quer durch alle Ressorts Eckpfeiler sozialdemo­kratischer Politik skizziert. Kurz, der bisher ganz bewusst nur sein eigenes Feld beackert hat, wird Ähnliches nachliefer­n müssen. Der Begriff der „neuen Volksparte­i“ist allenfalls eine Überschrif­t, mehr nicht.

Das spannendst­e Ergebnis dieses aufregende­n Tages aber war die Beobachtun­g, welche therapeuti­schen Kräfte die Spielregel­n einer gut geölten Demokratie entwickeln können. In geregelten Bahnen, unterbroch­en von Ordnungsru­fen der Parlaments­präsidente­n, wogte die Schlacht der Argumente und Emotionen. Wie ein heilsames Gewitter entlud sich die Spannung von Tagen. Geschützt von den Spielregel­n des Hauses konnte man einander öffentlich an den Kopf werfen, was sich aufgestaut hatte. as alte Parlament, das im Sommer zur Renovierun­g geräumt werden muss, hat so noch einmal eindrucksv­oll seine Bedeutung als Moderator des Gefühlshau­shalts der Republik unter Beweis gestellt.

D

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria