Erdog˘ ans Falle
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdog˘ an ist wieder Chef der AKP. Die Machtfülle, die er für sich schuf, könnte aber auch einem anderen zugutekommen.
Es war kein Parteitag, es war eine Krönungsmesse. 1500 Busse karrten rund 100.000 Mitglieder der islamisch-konservativen türkischen Regierungspartei AKP in Ankara zusammen, um die Inthronisierung ihres De-factoVorsitzenden als De-jure-Chef zu bejubeln.
Die verfassungsbedingte Pause ist vorbei, Recep Tayyip Erdog˘an kann auch in seiner Partei wieder schalten und walten, wie ihm beliebt. Aber das konnte er ohnehin, denn die AKP war spätestens seit seinem Triumph bei den Parlamentswahlen 2011 nur noch ein Verein der Abnicker, in dem niemand mehr Widerspruch gegen den „Boss“einzulegen wagte – auch nach seiner Wahl zum Präsidenten 2014, die ihn eigentlich zu parteipolitischer Neutralität verpflichtete (woran er sich nie gebunden fühlte).
Der knappe Sieg beim Verfassungsreferendum vor einem Monat hat Erdog˘an nicht nur sein angestrebtes Superpräsidialsystem gebracht, er hat ihm auch wieder den Weg zurück in die Partei geöffnet. Jetzt kann der von Paranoia geplagte Chef sie von all jenen säubern, die ihm trotzdem noch verdächtig erscheinen.
Damit ist der 63-Jährige am Ziel seiner politischen Wünsche angelangt und hat machtpolitisch sogar mit dem Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk gleichgezogen, der auch kein Musterdemokrat war. Nur dass Atatürk das Land in die Zukunft katapultierte, während Erdog˘an sich nach Kräften bemüht, seine „neue Türkei“in die Vergangenheit zurückzustoßen.
Die Islamisierung der Gesellschaft nimmt weiter Fahrt auf, die Hybris des Neo-Osmanismus feiert fröhliche Urstände, das hochgelobte muslimische Demokratiemodell verendet im nahöstlichen Polizeistaat und Autokratentum. Nachhaltig ist das nicht; das Versprechen des Wirtschaftsaufschwungs eine Fata Morgana. Anders als SaudiArabien oder Russland kann die Türkei nicht auf Bodenschätze zurückgreifen, um mit dem Erlös daraus die Bevölkerung ruhigzustellen.
Tatsächlich ist Erdog˘an von nun an persönlich verantwortlich für alles, was in seinem Land schiefläuft. Es wird schwer, Fehler auf Sündenböcke abzuwälzen. Wie unsicher er im Grunde ist, zeigt seine Parteitagsansage, den Ausnahmezustand erst dann abzuschaffen, wenn „Wohlstand und Frieden“erreicht seien – also wohl E nicht in naher Zukunft. igentlich kann er nur scheitern, aber das Scheitern wie jeder Autokrat nie einräumen. Eine große Hypothek, denn das Verfassungsreferendum hat die Spaltung der türkischen Gesellschaft in zwei etwa gleich starke Blöcke erwiesen. Die Opposition hat gezeigt, dass sie geeint gewinnen kann. Wenn sie es schafft, sich 2019 auf einen mehrheitsfähigen Präsidentschaftskandidaten zu einigen, kann Erdog˘an geschlagen werden – während seine AKP wegen der Zehnprozenthürde bislang auch mit 48 oder gar 36 Prozent der Stimmen regieren konnte. Eine Falle, in die sich der „Boss“selbst manövriert hat.