Kleine Zeitung Kaernten

Am 23. Juni startet unter der Ägide von Marie Chouinard die Tanzbienna­le Venedig. Zum Auftakt gibt es Lucinda Childs „Dance“.

- Von Ingrid Türk-Chlapek Neu installier­t

Ich erlebe meine Nominierun­g als Geschenk“, freut sich die 62-jährige Marie Chouinard über die Einladung, die nächsten vier Jahre die Tanzbienna­le in Venedig als Direktorin zu verantwort­en. Die Kanadierin provoziert­e einst als junge Solotänzer­in, indem sie auf der Bühne masturbier­te, urinierte oder sich selbst versteiger­te. Inzwischen ist die Künstlerin und ihre Compagnie Marie Chouinard mit den global tourenden Choreograf­ien voll sinnlicher Opulenz und virtuoser Tanztechni­k im Mainstream der Hochkultur angekommen.

Nach der Intendanz von Virgilio Sieni, der unter anderem bei freiem Eintritt im öffentlich­en Raum tanzen ließ, hält sich Chouinard wieder vermehrt indoor auf. Das ist bedauerlic­h, denn ihr Austausch favorisier­t so das zahlende Publikum und lässt tanzferne Menschen weitgehend außen vor.

Im Gegensatz zur Ära Sieni wirken weniger italienisc­he Kunstschaf­fende mit. Stattdesse­n widmet Chouinard mit den drei Choreograf­ien „Chroma“, „Aurora“und „Folk-s“dem Shooting Star Alessandro Sciarroni quasi ein Festival im Festival. Insgesamt setzt Chouinard auf bestehende Arbeiten, die bereits anderswo für Furore sorgten, etwa „So Blue“von Louise Lecavalier, „Self Unfinished“von Xavier Le Roy oder „Gustavia“von Mathilde Monnier und La Ribot. Die Marie Chouinard Company selbst erforscht in „Soft virtuosity, still humid, on the edge“bizarre Körperbild­er in verschiede­nen Tempi, von extremer Hektik bis zur radikalen Langsamkei­t.

hat Chouinard eine Filmreihe am Nachmittag. Ferner erweitert sie das Biennale College, welches sich um den profession­ellen tänzerisch­en Nachwuchs kümmert, um eine Schiene für Choreograf­ie.

Die Programmie­rung ist laut Chouinard rein intuitiver Natur. Sie lud ein, was ihr gefällt. Diese kuratorisc­he Praxis irritiert. Üblicherwe­ise argumentie­rt man seine Entscheidu­ngen, stellt sie in einen gesellscha­ftlichen Kontext und sich selbst einem inhaltlich­en Diskurs. Ein Großteil von Chouinards intuitiv gewählter Stücke dürfte jedoch breite Zustimmung finden, da sie in der Tanzwelt ohnehin unumstritt­en sind, etwa das Stück „Dance“von Lucinda Childs, welches die Biennale eröffnet. Childs wird unmittelba­r vor Vorstellun­gsbeginn mit dem Goldenen Löwen der Biennale ausgezeich­net. In „Dance“, einem Klassiker des 20. Jahrhunder­ts, versetzt die 76-jährige Pionierin des postmodern­en Tanzes das Publikum mit einer mathematis­chen Choreograf­ie aus unendliche­n Abwandlung­en von Schrittkom­binationen zur minimalist­ischen Musik von Philipp Glas und den Visuals von Sol LeWitt in Trance.

Newspapers in German

Newspapers from Austria