Wie Alaba unantastbar wird
Was Matthias Sammer zu David Alaba, Ralph Hasenhüttl und Österreichs Nationalteam zu sagen hat.
Sie waren von 2012 bis 2016 Sportvorstand beim FC Bayern und haben in dieser Zeit die Entwicklung von David Alaba hautnah begleitet.
MATTHIAS SAMMER: Er war in Österreich in der Kritik ...
Stimmt. Bei Bayern war er aber immer Stammspieler und Titelsammler. Ist er der beste Linksverteidiger der Welt?
David ist ein wunderbarer junger Mann. Menschlich herausragend. Verlässlich, ehrlich, sympathisch und erfolgshungrig. Der Punkt ist: Solange in seinem Kopf – oder in jenen, die ihn umgeben – die Frage herumspukt, ob er als Mittelfeldspieler oder Verteidiger besser ist, werden immer zwei, drei Prozent fehlen. Solange es die Diskussion gibt, würde ich sagen: David, du bist herausragend, aber mit zwei, drei Prozent mehr wärst du unantastbar.
Haben Sie öfter versucht, ihm das klarzumachen?
Bei uns gab es die Diskussion nicht so. Ich sage einmal: Auch als großer Spieler wie David muss man akzeptieren, dass es schwierige Phasen gibt. Das ist jedem Weltklassespieler so gegangen, jedem. Aber zu glauben, gewisse Themen immer bei anderen suchen zu müssen, wäre zu einfach.
Darf ich das so deuten, dass ihm manchmal mehr Selbstkritik gut zu Gesicht stünde?
Nein, eigentlich sogar ein Schritt weiter. Bevor jemand sagt, die Kritiker haben eh alle keine Ahnung, ist es besser, die ganze Diskussion gar nicht aufkommen zu lassen. Das geht aber nur, wenn du selbst mit dir klar bist. Die Diskussion über seine Position finde ich unnötig wie einen Kropf. Außerdem habe ich nie verstanden, warum die Position des Mittelfeldspielers wertvoller sein soll als die des Außenverteidigers.
Manche sagen, Alaba ist nach außen zu wenig Führungsspieler. Muss da mehr kommen?
Völliger Blödsinn! Dann hätte man Philipp Lahm damit zehn Jahre lang konfrontieren müssen. David ist jetzt 24. Am Anfang musste er auf seine Entwicklung achten, darauf, sich durchzusetzen. Aber er wird immer mehr verstehen, dass es Mechanismen in einer Mannschaft gibt, für die einzelne Spieler verantwortlich sind. In diese Rolle wird er hineinwachsen, das kommt zwangsläufig. Aber bürdet ihm doch bitte jetzt keine Rolle auf, der er von seinem Persönlichkeitsprofil noch überhaupt nicht entspricht. Wenn er 27 oder 28 ist, wird er nach Spielern wie Neuer, Müller oder Hummels eine Führungsrolle einnehmen. Den Intellekt, das Gespür und den Hunger dafür hat er.
Dass Bayern zum fünften Mal in Serie Meister wurde, ist keine Überraschung, Aufsteiger Leipzig als Vizemeister dagegen schon. Wie bewerten Sie als DynamoDresden-Legende diesen Erfolg emotional?
Schon als die Projekte in Salzburg und Leipzig entstanden sind, habe ich sie positiv unterstützt, wofür ich heftig kritisiert wurde. Klar gibt es Rivalitäten zwischen Dresden und Leipzig, aber da muss man über den Tellerrand schauen. In dieser Region wurden jahrelang Traditions-, aber nie Leistungsdebatten geführt. Darum geht es im Sport. Was in Leipzig entsteht, hat nicht nur Auswirkungen auf sportlichen Erfolg und Arbeitsplätze, sondern auch auf das Selbstwertgefühl der Menschen dort. Das ist wichtiger als unsinnige Diskussionen über sowieso falsch gelebte Tradition.
Dass einige der Proteste gegen Leipzig unter der Gürtellinie waren, steht außer Streit. Aber können Sie als jemand, der praktisch ausschließlich bei Traditionsvereinen – Dresden, Dortmund, Stuttgart, Bayern – gearbeitet hat, dem Widerstand im Kern etwas abgewinnen?
Es wäre doch geradezu verwunderlich, wenn wir Deutschen nicht prinzipiell gegen irgendetwas wären. Was mich ärgert: Was mit Dietrich Mateschitz oder auch mit Dietmar Hopp in Hoffenheim passiert, ist eine Werteverfalldiskussion. Da geht es um grundsätzlichen Respekt vor den Lebensleistungen der genannten Herren. Und es wäre noch mal etwas anderes, wenn Red Bull als Modeerscheinung auf den Fußball aufgesprungen wäre, um kurzfristig zu profitieren und dann wieder rauszugehen. Das sehe ich aber nicht. Wenn alles, was heute den Stempel Tradition trägt, am Anfang solche Widerstände gehabt hätte, gäbe es heute keine Tradition.
Leipzig lebt von einem irrsinnigen Power-Fußball und spielt in der kommenden Saison erstmals in der Champions League. Kann das Thema Doppelbelastung zu einem Stolperstein für die Mannschaft werden?
Wenn du es nicht gewohnt bist, jeden dritten Tag auf Top-Niveau zu spielen, ist es für einen Neuling eine Wahnsinnsbelastung. Die meisten Teams lassen dabei um fünf bis zehn Prozent nach. Das müsste man über einen breiteren Kader kompensieren. Du hast aber nicht die wirtschaftliche Garantie, dass du über drei, vier, fünf Jahre an den Einnahmen der Champions League beteiligt wirst. So lange laufen aber die Verträge der Spieler, die du dafür holst. Das ist dann möglicherweise nicht bezahlbar. Um Leipzig konkret mache ich mir allerdings keine Sorgen. Dort sind Leute am Werk, die damit umgehen können.
Sie sprechen den Trainer an. Was macht Trainer Ralph Hasenhüttl aus Ihrer Sicht einzigartig?
Ich habe großen Respekt vor seinem Weg. Er hat immer an sich geglaubt und gearbeitet, jetzt schießt er durch die Decke. Mich freuen solche Karrieren. Wenn wir aber von einzigartig sprechen, dann gehören allerdings auch Titel dazu.
Was bewerten Sie höher: mit Leipzig als Aufsteiger Zweiter zu werden oder wie Peter Stöger einen Klub wie Köln kalmiert und in die Europa League geführt zu haben?
Beides sind außergewöhnliche Leistungen. Im gesamten Kölner Umfeld, mit der Tradition, gegen die man manchmal vielleicht auch ankämpfen muss, war es möglicherweise sogar schwerer. Peter Stögers Mission war um 0,1 Prozent schwerer, als einen unvorbelasteten Verein nach oben zu bringen.
Die aktuellen Probleme des österreichischen Nationalteams in der WM-Qualifikation ...
... muss man in einem Land wie Österreich einkalkulieren. Es ging zuletzt so schnell nach oben, das muss sich irgendwann einpendeln. Es darf nur keinen Totalabsturz geben, den sehe ich aufgrund der Qualität der Spieler aber auch nicht. Schwankungen sind in so einem Prozess völlig normal. Nicht normal war, dass Österreich so schnell in den Top Ten des Weltfußballs war.