Mare nostrum
Kanzler und Außenminister liefern einander alle Tage wieder dasselbe Gefecht. Wer ist der Seriösere im Umgang mit dem leidigen Migrationsthema? Dabei sind sie sich einig.
Die Römer nannten das Mittelmeer schlicht unser Meer – mare nostrum. Wir, die nachgeborenen Europäer, wären es lieber wieder los. Von Monat zu Monat kommen mehr Menschen in klapprigen Booten übers Wasser zu uns, viele ertrinken elend, bevor sie das rettende Ufer erreichen können. Es ist ein in jeder Hinsicht unhaltbarer Zustand, darüber sind sich Bundeskanzler und Außenminister einig. Vor dem EuropaAusschuss des Nationalrats klang das am Mittwoch wieder durch. „Unser gemeinsames Ziel“nannte Kern die Bemühungen um die Schließung der Mittelmeerroute.
Einig sind die beiden Männer darüber, was nicht geht. Europa kann nicht dabei zusehen, wie allmonatlich Tausende Menschen über die ungeschützte Südgrenze kommen und dann mehr oder weniger ungehindert über offene Grenzen nach Norden wandern. Europa kann auch nicht dabei zuschauen, wie Tausende Menschen vor unseren Küsten untergehen.
Unterschiedlich sind vor allem die taktischen Interessen der beiden Politiker, die um die Kanzlerschaft rittern. Seit Tagen wehrt sich Christian Kern dagegen, diese mühsam erreichte gemeinsame Position immer wiederholen zu müssen. Viele in seiner Partei folgen ihm nur widerwillig bis zu diesem Punkt, manche gar nicht mehr. Die Grünen warten schon auf sie. Das ist riskant für den Verteidiger der Poleposition, der sich einen solchen Exodus nicht leisten kann. Umso lustvoller betont Kurz immer wieder, was er schon immer gesagt hat und was seine Anhänger hören wollen. Je weniger es die Parteigänger seines Gegenspielers hören wollen, umso besser.
Migration ist seit Jahren das Terrain des Außenministers. Kurz hat es besetzt, lange bevor Kern überhaupt in die Politik gegangen ist. Nun sitzt der Herausforderer dort, wie der Igel aus dem klugen Märchen der Brüder Grimm, und wartet, bis der Hase mit heraushängender Zunge sich auch bis zu seiner Position durchgekämpft hat. Kaum ist er da, sitzt der Igel schon wieder bei der nächsten Wegbiegung.
Das Rennen kann Kern weder gewinnen noch ausschlagen. Kurz weiß, dass Zuwanderung vermutlich das zentrale Thema dieser Wahl sein wird. Er hat seine Position früh abgesichert und kann auf Erfolge verweisen. Die Schließung der Balkanroute ist das Pfund, mit dem er wuchert. Das kann ihm niemand verargen, wenngleich das Thema eigentlich zu wichtig ist, um daraus Kleingeld für den Wahlkampf zu prägen. Zugleich ist der stereotype Verweis Kerns auf die Kompliziertheit der Frage kein Argument gegen die schlichte Feststellung, dass die Dinge nicht bleiben können, wie sie sind. Beides sind Vereinfachungen und der Sache nicht angemessen. s ist Wahlkampf, ein Ende dieser Hahnenkämpfe daher nicht zu erwarten. Vielleicht weckt er das Bewusstsein, dass das Mittelmeer zu Europa gehört und Wegschauen keine Lösung ist. Eine zu finden, geht alle an, nicht nur vor der Wahl.
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