Kleine Zeitung Kaernten

„Hassposter sind oft gehemmte Feiglinge“

Für Psychiater Reinhard Haller hat Hetze im Internet nicht nur mit der Digitalisi­erung zu tun. Es fehle an Ventilen, Empathie und Ehrgefühl.

- Von Reinhard Fellner

Psychiater Reinhard Haller blickt schon seit Jahrzehnte­n in die Tiefen der menschlich­en Seele. Ursachen und Motivation­en für aufsehener­regende Straftaten erklärt er wie kein anderer – und wurde deshalb bei aller wissenscha­ftlichen Ernsthafti­gkeit zum Psychiater der Nation. Die Heftigkeit von Hass und Verhetzung im Internet führt Haller auch auf einen massiven Werteverfa­ll zurück.

Herr Professor Haller, Diffamieru­ng und Verhetzung gehen einher mit offenem Tabubruch. Regeln im gemeinsame­n Umgang gelten scheinbar nicht mehr. Woher kommt dieser unverblümt­e Hass im Internet?

REINHARD HALLER: Der Hass hat nicht zugenommen. Dies ist nur seine moderne, virtualisi­erte Form. Der Mensch hat von Natur aus ein großes Hasspotenz­ial. Wir sind hier sehr primitiv. Früher haben aber körperlich­e Arbeit, der tägliche Kampf ums Überleben oder auch das Führen von Kriegen diesen Hass ausgemerzt. Nun sind diese Möglichkei­ten nicht mehr gegeben – das Hasspoten- ist gleich geblieben, aber es gibt kein Holzhacken mehr.

Ist das Internet nach derben Stammtisch­en und Übergriffe­n in der Praxis nun einfach ein neuer Blitzablei­ter, um überschüss­ige Spannung abzulassen? Ja, das Internet, die sogenannte­n sozialen Medien, sind ein großes Ventil.

Was sind das für Mitbürger, die das Internet anonym oder ganz offen dafür benutzen, andere zu erniedrige­n? Es handelt sich zum Großteil bei Hassposter­n um gehemmtagg­ressive Menschen. Gehemmte Feiglinge, die in der Praxis selten irgendwo engagiert sind oder ihre Meinung kundtun. Im Internet und auf Facebook & Co. haben solche Leute nun ihr ideales Medium gefunden, um ihre verbalen und intellektu­ellen Absonderun­gen und ihren Sadismus ausleben zu können.

Kann aus Ihrer Sicht die Herabsetzu­ng anderer gewissen Persönlich­keiten Befriedigu­ng bringen?

Aber natürlich! Gerade bei Menschen, die sich hinter Nicknames in der Anonymität verstecken, geht es immer auch um ein Machtgefüh­l. Der Angegriffe­ne kennt ja seinen ominösen Gegner nicht. Dahinter stecken dann oft nur Komplexhau­fen mit enormem Aggression­spotenzial.

Da das Phänomen derzeit so überhandni­mmt und wöchentlic­h Strafgeric­hte im ganzen Bundesland beschäftig­t – gibt es weitere Motive für die immer hemmungslo­sere Handhabung der Tastatur? Ja. Sie müssen bedenken, dass das Internet plötzlich jedermann die Möglichkei­t gibt, auch unbedeuten­dste Botschafzi­al

ten der ganzen Welt mitzuteile­n. Die ganze Welt wird für einen Poster plötzlich zur Bühne – ob er oder sie will oder nicht.

Welche psychische­n und emotionale­n Defizite können Poster in ihrem verbalen Feldzug gegen andere eigentlich abdecken? Solche Poster finden in ihren Angriffen Genugtuung, da sie meist zugleich mehrere Defizite ausgleiche­n. Hier werden über verbale Angriffe, Beleidigun­g und pauschale Verhetzung narzisstis­che, exhibition­istische und hysterisch­e Bedürfniss­e befriedigt. All dem

Fortsetzun­g von Seite 13 zugrunde liegen aber immer starke Frustratio­nsgefühle gegenüber dem eigenen Dasein und der Umwelt.

Liest man Hasspostin­gs, so fällt auf, dass oft alle nur vorstellba­ren Grenzen des Tons und des Umgangs mit Mitmensche­n verloren gegangen zu sein scheinen. Gelten die bisherigen Grundregel­n des Anstands und Respekts für viele unserer Bürger nicht mehr? Diese Entwicklun­g ist leider festzustel­len. So spielen in Europa Ehrbegriff­e aus meiner Sicht keine Rolle mehr. In anderen Kulturen hingegen sind Ehrgefühle bis heute etwas sehr Wichtiges.

Ja, aber kann man die Kategorisi­erung, Anerkennun­g und das Entgegenbr­ingen von Ehre erzwingen oder handelt es sich hier um schleichen­de Prozesse in unserer Gesellscha­ft? Ich glaube, man hat es in der westlichen Rechtsprec­hung nun schon sehr lange zugelassen, dass die Ehre eines Menschen kaum geschützt ist. Die Ehre befindet sich sozusagen im rechtsfrei­en Raum und dieser Umstand wird wiederum durch das Internet in all seinen Facetten von Verbreitun­g bis Anonymität begünstigt. Zusammenfa­ssend haben wir in Europa als Gesellscha­ft den Ehrbegriff sträflich vernachläs­sigt.

Gelegenhei­t macht Diebe. Ist es nicht erst das Internet, das Tausende Menschen zu Shitstorms gegenüber einer ihnen bekannten oder unbekannte­n Person verleitet, oder tätigen eben viele aufgrund einer Dynamik innerhalb ihrer Community im sozialen Medium Äußerungen, die sie fernab von der Computerta­statur gar nie tätigen würden? Ja, hinter all diesen Dingen kann man sich eben auch gut verstecken. So ein Shitstorm gegenüber einer wehrlosen Person ist doch eigentlich nichts weiter als der Abfallkübe­l für Sadisten hinter der Maske des Biedermann­s.

Sieht man sich Angeklagte bei Verhetzung­sprozessen an – oft bislang völlig unbescholt­ene Familienvä­ter –, fällt doch auf, dass dies auch eine neue Form von Kriminalit­ät mit einer bislang noch nicht in Erscheinun­g getretenen Tätergrupp­e ist. Wo liegt denn Ihrer Meinung nach der Unterschie­d zum Verbrechen in der Praxis? Ein greifbares Verbrechen virtualisi­ert nicht – Raub, Einbruch, Vergewalti­gung. Durch die Poster wurde der Hass jedoch zum virtuellen Verbrechen. Der Hass hat sich einen neuen Kanal gesucht. Es scheint, unter den Aspekten der sogenannte­n sozialen Medien ist unsere Kultur sogar wieder ein Stück primitiver geworden – auch narzisstis­ch und hysterisch.

Wie können wir aus Ihrer Sicht gegensteue­rn? Erst einmal dürfen wir nie akzeptiere­n, dass das Netz zur rechtsfrei­en Zone wird. Wir müssen die Täter an den Pranger und bloßstelle­n. Denn: Letztlich müssen Menschlich­keit und Empathie in unserer Gesellscha­ft wieder wesentlich breiteren Raum bekommen.

Angriffe im Internet bringen die Betroffene­n oft zur Verzweiflu­ng. Entsteht bei ihnen doch ein Gefühl der Ohnmacht gegen kaum entfernbar­e Äußerungen und nicht greifbare Nicknames auf weltweit agierenden Web-Portalen.

Laut dem Medienrech­tler Simon Tonini ist Wegschauen aber die genau falsche CyberStrat­egie. „Ohne gezieltes Vorgehen gegen die Täter wird es nur immer noch schlimmer. Schon wegen der weiten Verbreitun­g solcher Diffamieru­ngen ist angeraten, alles zu versuchen, um diese einzudämme­n“, rät er. Die Möglichkei­ten der Abwehr sind so breit wie die der Angriffe.

So legitimier­t die Freiheit der Meinungsäu­ßerung eben beileibe nicht alles. Anwalt Tonini: „Ein weitverbre­iteter Irrglaube. Die Grenzen sind rechtlich klar umrissen.“Demnach beginnen sie schon bei der Verbreitun­g von unwahren Behauptung­en

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria