Geheimratskäse
Österreich schafft das Amtsgeheimnis vorsichtshalber doch noch nicht ab. Man kann schließlich nie wissen. Und deshalb soll man auch nicht!
Seit 99 Jahren ist der Titel „Geheimrat“abgeschafft. Doch für die noch amtierende Regierung und die ihr zugehörigen Parlamentarier würde es sich lohnen, den Titel wieder einzuführen. Sie hätten ihn sich verdient – nicht redlich, sondern schweigend.
SPÖ-Geheimrat Thomas Drozda und seine allergeheimsten ÖVP-Verhandlungspartner sind nämlich mit dem Plan gescheitert, das Amtsgeheimnis abzuschaffen. Seit vier Jahren wird den Bürgern ein „Informationsfreiheitsgesetz“versprochen. Doch in vollendeter absolutistischer Staatskunst hat man es geschafft, so lange alle Vorund Rücksichten walten zu lassen, bis man sich über die Legislaturperiode rettet.
In Schweden wurde 1776 ein Auskunftsrecht für Bürger verankert, in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg. Sogar Deutschland schaffte vor zehn Jahren das Amtsgeheimnis ab, ohne im Chaos der überschäumenden Neugier zu versinken. Laut Austria Presse Agentur gewähren mehr als 100 Staaten ihren Bürgern Zugang zu dem von der Allgemeinheit finanzierten Behördenwissen.
Aber Österreich ist anders. Schon Kaiser Franz Joseph focht mit List, Tücke und bewundernswerter Ausdauer gegen die Zumutungen des Konstitutionalismus. Transparenz gilt hierzulande als tendenziell gefährlicher Zustand, der in engstmöglichen Grenzen gehalten werden muss. Blöd fragen ist Blech, Schweigen ist Gold.
Es hat zwar inzwischen jeder bessere Gemeindesekretär zweieinhalb Pressesprecher, die allzeit seine Weisheit und Güte besingen. Aber das Herrschaftswissen lässt man sich nicht nehmen. Seit nämlich die Untertanen anmaßend als „Kunden“in die Ämter strömen, ist Wissen die letzte Macht, die geblieben ist.
Vor zwei Jahren trat die Angst vor Wissensverbreitung deutlich zutage: Da legte die Regierung einen Gesetzesentwurf für die versprochene Informationsfreiheit vor. Der Entwurf war
das Papier nicht wert: Die Auskunftspflicht war maximal durchlöchert, die Behörden hätten selbst entscheiden dürfen, ob sie Informationen herausrücken. Ausnahmen waren aus fast jedem Grund gerechtfertigt – nicht nur im Hinblick auf nationale Sicherheit, sondern etwa auch aus wirtschaftlichen Interessen oder zur „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe“und zur „unbeeinträchtigten Vorbereitung einer Entscheidung“.
Obwohl also nur ein Minimalstandard etabliert werden sollte, setzte sofort ein erbarmungswürdiges Wehklagen der entsetzten Geheimnisträger ein: Niederösterreich wollte nicht über Verwaltungsverfahren reden, Oberösterreich wollte die großzügige Acht-Wochen-Frist für Auskunftsgewährung verdoppeln. Sogar die Bundesforste und die Österreich Werbung baten untertänigst um Maulkörbe.
Jetzt bleibt Gott sei Dank alles, wie es ist: Österreichs „Informationsfreiheit“ist eine Freiheit nicht für, sondern von Information. Man kann ja nie wissen. Und deshalb soll man auch nicht!