Abschied von einem Giganten
Beim europäischen Staatsakt für Helmut Kohl verbeugt sich, was in Europa Rang und Namen hat. Bill Clinton findet fröhliche, Angela Merkel sehr persönliche Worte.
Zu Wasser, zu Lande und in der Luft – die Vorstellung, wie sein letzter Weg verlaufen würde, dürfte Helmut Kohl gefallen haben. Dieser Samstag bietet alle Ingredienzien, die den Abschied vom „Kanzler der Einheit“gravitätisch und weihevoll machen: den Staatsakt im Europäischen Parlament, die Überführung nach Deutschland mit Trauerkorso durch seine Heimatstadt und eine Rheinfahrt des Sargs, wie es sie zuvor nur für Konrad Adenauer gegeben hat, schließlich die Totenmesse im Kaiserdom, militärisches Salut und die Beerdigung.
So ist Kohls letzte Reise mit Symbolik übervoll geladen, biografischer und politischer, privater und archaischer: Sie endet am Abend bei Glockengeläut und blauem Himmel in Speyer, doch sie beginnt am Morgen unter dichten Wolken in Frankreich. Auch das ein Symbol, von historischem Rang sogar: Noch nie hat es einen „europäischen Staatsakt“für einen Verstorbenen gegeben. Kohls Weggefährte, Kommissionspräsident JeanClaude Juncker, hatte jenen Begriff in Umlauf gebracht, der auch für Irritationen sorgte, aber vor allem signalisieren sollte: Es geht um eine besondere Ehrung Europas für einen Riesen“. Der Verwaltungsapparat hat daraus schlicht die „Kohl Ceremony“gemacht – und das trifft es. Das Porträt des Verstorbenen, auf einer Staffelei hinter dem Sarg unter der blauen Europa-Fahne, ist ein Foto aus den letzten Lebensjahren. Es zeigt Kohl, gezeichnet von Krankheit, aber mit einem stillen Lächeln.
Insbesondere Juncker, noch mehr aber der frühere US-Präsident Bill Clinton machen das staatstragende Zeremoniell zu einem persönlichen Gedenken an den Menschen Kohl. Zwar spricht Juncker als zweiter von acht Rednern von ihm als einem „Nachkriegsgiganten“und „europäischen Monument“, aber eben auch von einem „treuen Freund“, von dem er nun Abschied nehmen müsse.
An „Maike, meine Freundin“, gewandt, schildert Juncker bewegende Momente, wie jenen 1997, als Kohl während eines Banketts anlässlich der EUOsterweiterung um das Wort bat: „Ausnahmsweise, denn normalerweise nahm er es sich“, erzählt Juncker – und Angela Merkel auf ihrem Sessel vor der ersten Bankreihe lächelt ihrem Sitznachbarn, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, wissend zu. Kohl habe die Integration der Osteuropäer als einen der glücklichsten Tage seines Lebens bezeichnet und „minutenlang geweint“, presst mit belegter Stimme heraus: „Europe at its best.“
Clinton zieht emotional ein ähnliches Register. Nur noch voller, noch pathetischer. Er erinnert die Anwesenden daran, dass „wir alle einmal in einem Sarg liegen werden“. Vorher die Chance bekommen zu haben, „sich an etwas zu beteiligen, das größer ist als wir selbst“, nämlich an der Zusammenarbeit der Völker in Vielfalt und im Verzicht auf Dominanz einer Nation – das sei Kohls Verdienst.
Unter all den Großen, die Kohl ihre Reverenz erweisen, darunter auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Kanzler Christian Kern und Altkanzler Wolfgang Schüssel, ist Macron unverkennbar der Youngster. In seiner Rede hebt Macron darauf ab, dass seine Altersgenossen und er Kohl nicht mehr aktiv erlebt hätten: „Für meine Generation ist Helmut Kohl schon Teil der Geschichte.“Er spricht offen wie kein anderer Europas aktuelle Krise an und verspricht, zusammen mit Merkel den Geist von Kohls „Aufbauwerk“zu bewah„politischen ren, „gefestigt von Freundschaft“dem europäischen Projekt „wieder Sinn und Dichte verleihen“. Mit dem Generationenwechsel, den Macron verkörpert, kommt in der Feierstunde so auch ein Perspektivwechsel zum Tragen.
Als letzte Rednerin spricht dann die von Kohl Entdeckte. Clintons Charisma oder Macrons Leidenschaft sind Merkels Sache erkennbar nicht; wie immer, wenn die Kanzlerin betont gemessen sprechen will, klingt sie zunächst eher hölzern. Dann wird sie aber doch persönlich – sofort gewinnt ihre Rede an Dichte und Bewegung: Schon als sie noch in der DDR lebte, hätten Kohls Zuversicht und seine Erwartung der Wiedervereinigung ihr und ihren Landsleuten Kraft gegeben. Aus eigener Erfahrung könne sie erzählen, wie er sich um die Menschen in seiner Umgebung gekümmert, ihnen mit Rat und Tat zur Seite stand. „Ohne Sie wäre das Leben von Millionen Menschen in der damaligen DDR völlig anders verlaufen, natürlich auch meines“, endet MerJuncker
kel. „Danke für die Chancen, die Sie mir gegeben haben.“
In ihren Dank an den Verstorbenen schließt Merkel Hannelore Kohl, die erste Frau des Verstorbenen, ein und erwähnt die anderen Familienmitglieder, die um ihn trauern. Beides ist nicht unheikel angesichts der Verwerfungen. Seine Söhne sind weder nach Straßburg noch nach Speyer gekommen. Zugleich wendet Merkel sich der Witwe zu, die Kohl „voller Hingebung und Liebe begleitet“habe, bis zuletzt. „Ihnen gehört mein Mitgefühl.“
Das Volk sammelt sich erst in Deutschland, wo der Hubschrauber den Sarg absetzt, der – nun nicht mehr mit Europafahne, sondern mit SchwarzRot-Gold bedeckt – im Leichenwagen durch Ludwigshafen fährt. In seiner Heimatstadt, wo auch Enttäuschung darüber herrscht, dass er in Speyer statt in Ludwigshafen beerdigt wird, säumen einige Hundert Menschen die Strecke.