„Ich lebe, ich bin glücklich“
Alessandro Zanardi, Indy-Car-Champ und Paralympics-Goldmedaillengewinner, startet heute beim Ironman, ohne Beine.
Sie haben zwei Mal die IndyCar-Serie, das US-Pendant zur Formel 1, gewonnen, sie gewannen drei Gold- und eine Silbermedaille bei den Paralympics in London und in Rio. Jetzt finden Sie bei den verschiedensten Ironman-Bewerben Ihre Erfüllung. Was fasziniert Sie an gut zehn Stunden Qualen?
ALESSANDRO ZANARDI: Oh, da muss ich ausholen. Das lässt sich nicht leicht erklären. Als ich meine Goldmedaillen in London gewonnen hatte, war meine Stimmung am Tiefpunkt, mir war zum Heulen. Alle sagten: ,Hey, Alex, come on. Du bist Olympiasieger.‘ Für mich war aber ein Lebens-Kapitel abgeschlossen. Ich hatte so auf das Olympia-Gold hingearbeitet. Dann hatte ich es. Und diese Phase war beendet. Das stimmte mich traurig. Zum Ironman rieten mir viele Leute. Ich müsse das tun. Und am besten gleich in Hawaii, beim berühmtesten Ironman. Ich sprach mit den Organisatoren, sie wussten, dass ich bei einem Unfall beide Beine verloren hatte. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie glaubten, ich wüsste nicht, um was es da eigentlich ging. Teilgenommen habe ich dennoch. Es war großartig.
Und warum starten Sie jetzt in Klagenfurt, beim Ironman Austria?
Auch dieser Ironman wurde mir empfohlen, es soll einer der schönsten in Europa sein. Und ich kann nur sagen: Das, was ich bis jetzt gesehen habe, bestätigt die Erzählungen. Nur die Laufstrecke ist eng, winkelige Kurven, da komme ich mit dem Rollstuhl nicht schnell ums Eck. Da muss ich einen Wheelie machen, wenn Sie wissen, was ich meine, ich fahre nur auf den Hinterrädern. So geht’s. Aber Bestzeit werde ich hier wohl keine aufstellen.
Welche Zeit streben Sie denn an?
Ich will irgendwann unter neun Stunden bleiben, ich denke, das ist für mich möglich.
Schwimmen ohne Beine. Geht das überhaupt?
Ja, natürlich, meine Arme und mein Oberkörper sind voll austrainiert. Nur in der großen Masse schwimme ich nicht so gerne. Meine Bestzeit auf der Schwimmstrecke liegt bei 1:08 Stunden.
Und welche Zeit erreichen Sie auf den anderen Strecken?
Beim Radfahren, also mit dem Handbike brauche ich für die 180 Kilometer 5:52 Stunden, für den Marathon benötige ich gut 2:20 Stunden. Für einen Rollstuhlfahrer ist aber eine Marathonzeit unter zwei Stunden möglich.
Sie sind ja eigentlich mit dem Rollstuhl schneller als die Läufer.
Werden Sie da nicht manchmal angefeindet?
Nein, überhaupt nicht. Und schneller bin ich ja nur, wenn es schnurstracks geradeaus geht. Aber mir geht es ja gar nicht so sehr darum, irgendwen zu schlagen. Bis 2009 bin ich ja noch Tourenwagenrennen gefahren. Ich bin froh, dass ich heute das machen kann, zu dem ich mich nach meiner Rennerei entschlossen habe. Und das ich lebe.
Haben Sie noch Erinnerungen an den Unfall 2001?
Ja. Ich weiß noch genau, wie ich mit den Händen am Lenkrad drehte, um das kreiselnde Auto wieder abzufangen. Aber dann wurde es dunkel ...
... Alex Tagliani hat Sie mit über 300 km/h voll gerammt. Dabei haben Sie beide Beine verloren, schwebten in hoher Lebensgefahr?
Ja, ich war acht Tage im Koma, sieben Mal ist meine Herz stehen geblieben. Ich habe fast mein gesamtes Blut verloren, bis auf den letzten Liter, glaube ich. Medizinisch war ich tot. Es war ein Wunder. Aber sie brauchen mich jetzt nicht fragen, ob ich irgendetwas gesehen hätte, so aus dem Jenseits. Nein, da war nichts. Kein Tunnel, kein Licht. Gar nichts.
Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich als Jugendlicher gar nicht so gerne quälten, körperliche Anstrengungen kaum in Kauf nahmen. Und jetzt?
Wir haben im italienischen dafür ein Sprichwort. Man sei ,german‘, also deutsch, wenn man sich so quält. Aber wie ich schon gesagt habe. Ich hatte beim Unfall fast mein gesamtes Blut verloren. Ich wurde in Berlin mit Blutkonserven wieder vollständig aufgefüllt. Es sei deutsches Blut, wie man mir versichert hat. Nicht nur das ich mich jetzt quäle, mir schmeckt plötzlich seither auch Bier. Vorher hatte ich es gehasst. So gesehen bin ich ein glücklicher Mensch, weil ich so viel erleben darf.
Seit ich fast nur noch deutsches Blut in mir habe, schmeckt mir auch Bier.
Alessandro Zanardi