Kleine Zeitung Kaernten

Kabarettis­t Markus Hirtler über Rezepte gegen die Angst.

Kabarettis­t Markus Hirtler ist als „Ermi-Oma“das Sprachrohr für alte Menschen. Für ein besseres Land hat er ein Rezept parat: „Tätige Nächstenli­ebe – auf Krankensch­ein!“

- Von Manuela Swoboda

Die Pflege war zuletzt das bestimmend­e Thema der Innenpolit­ik. Sind in Wahlkampfz­eiten auch die alten Menschen endlich dort angekommen, wo sie hingehören: in der Mitte der Gesellscha­ft?

MARKUS HIRTLER: Ich fürchte, das Thema ist nur kurz ein Kassenschl­ager. Aber ich muss mich insgesamt schon sehr wundern, dass wir es uns nicht gönnen wollen, auf unsere Eltern zu schauen. Wir wollen es uns nicht leisten, obwohl wir uns so viel leisten können. Ich plädiere für ein bisserl mehr Herzensbil­dung, bitte!

Sie nennen Österreich eine„ Alters entsorgung­s gesellscha­ft “: Wie meinen Sie das?

Solange man jung, dynamisch, erfolgreic­h und sexuell aktiv ist, gehört man dazu. Aber wehe, man ist draußen aus dem Radl! Dann wird man nicht mehr gern gefragt, gehört, gesehen. Das Alter wird oft als Belastung, Kostenfakt­or und Mangel wahrgenomm­en. Man kann Alter aber auch als Fülle an sozialer und emotionale­r Kompetenz sehen, als Reichtum an Lebenserfa­hrung und Lebensweis­heit.

Mit Ihrer Kunstfigur „Ermi-Oma“geben Sie alten Menschen eine Stimme: Was muss sich in ÖsterWären reich ändern, damit die Betagten nicht nur auf Pflegeregr­ess und Kosten reduziert werden?

Bleiben wir ruhig beim Finanziell­en, aber von einer anderen Warte aus betrachtet: Die alte Bevölkerun­g ist der größte Dienstgebe­r des Landes. Es wäre spannend, sich anzuschaue­n, was passiert, wenn sich die alten Menschen verbünden und als gemeinsame Dienstgebe­r Druck ausüben und sich ihre Mitarbeite­r selbst aussuchen. Ich hoffe immer noch auf ein Methusalem-Komplott!

Was wäre dann?

Wenn wir einmal die Betroffene­n fragen würden, was sie brauchen, kommen wir schnell weg vom jetzigen System der Checkliste­n und hin zur Mitmenschl­ichkeit. Ich frage mich immer, worauf es mir im Alter ankäme. Ich brauche niemanden, der mir Dinge abnimmt, die ich selbst machen kann, und der mir sagt, wie ich mich zu verhalten habe, damit ich ins Konzept und in Dienstzeit­en passe. Ich möchte von jemandem gepflegt werden, der mich unterstütz­t, respektvol­l und würdevoll, ohne dass ich hundertmal Bitte und Danke sagen muss.

Wie schon „Ermi-Oma“sagt: „Wenn du dankbar bist und bitten tust, sind alle freundlich zu dir.“

Ich habe einmal ein Projekt in einem Pflegeheim gemacht, da wurden die Rollen getauscht. Der zu Pflegende war der Chef, der Pflegedien­stleiter bettlägeri­g usw. Anfangs wollten die alten Menschen nicht mitmachen, weil sie Angst hatten, wenn sie etwas Negatives sagen, könnte es ihnen schaden. Sie hatten Angst, dass das System zurückschl­ägt und etwas in die Pflegedoku­mentation hineingesc­hrieben wird, was auch bei der Dienstüber­gabe noch drinnenste­ht.

regelmäßig­e Besuche im Pflegeheim eine Lektion im Älterwerde­n?

Das wäre super! Aristotele­s hat ja gesagt, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Aber wenn ich glaube, das Ganze ist nur die Summe der Teile, dann erschöpft sich die Pflege in neuen Gesetzen oder Mindestsor­gfaltsmaßs­täben. Aber wenn Verantwort­liche selbst spüren, wie es ist, wenn man auf Hilfe angewiesen ist, dann würde sich etwas ändern.

Sie waren mehr als 20 Jahre lang Pfleger, auch Heimleiter: Krankt es im Pflegebere­ich nicht auch an zu wenig Personal, zu viel Belastung, zu wenig Lohn?

Es gibt viele gute Vorschläge in der Schreibtis­chlade, aber man gewinnt keine Wahlen mit neuen finanziell­en Belastunge­n.

Von den rund acht Millionen Menschen in Österreich sind 1,8 Millionen über 60 und 1,3 Millio-

nen unter 15: Wäre es nicht eine Win-win-Situation, wenn beide Gruppen einander direkt helfen?

Ich kenne alte Menschen, die junge Leute als Mentoren oder Paten begleiten, und die Jungen nehmen die Alten an der Hand. Das ermutigt, das Alter anders zu denken.

Der Pflegeregr­ess ist weg, nur: 80 Prozent der Pflegebedü­rftigen betrifft das überhaupt nicht, weil sie daheim betreut werden. Was braucht es hier?

Für mich hat diese Absicherun­gspflege noch weniger Charme als eine Klobürste. Wenn die Kinder sehen, dass ihre Eltern hilfsberei­t sind, werden auch sie es sein. Und wenn das nur in der Nachbarsch­aft funktionie­rt, wäre schon viel gewonnen. Denn ist es nicht normal, dass ich frage, ob ich was mitbringen soll, wenn ich sowieso einkaufen gehe? Wie viele Probleme könnte man damit lösen und wie vielen Ange- hörigen von Menschen, die zu Hause gepflegt werden, würde allein das schon helfen!

Was ist Altern in Würde?

Das hat viel mit Respekt zu tun und damit, dem Gegenüber zuzugesteh­en, dass jeder seinen Weg so gehen kann, wie er muss. Es wird immer schwierig, wenn jemand mir sagt, wie ich zu leben habe. Damit raubt er mir meine Würde. Denn es ist immer mein Weg, mein Altwerden, mein Loslassen, mein Sterben, meine Endlichkei­t.

Ihre erste Frau ist 2011 an Krebs gestorben, Sie haben Ihre Erfahrung mit dem Tod?

Diese Erfahrung habe ich schon viel früher als Pfleger gemacht. Schon damals war mir klar: Wenn ich mit meiner eigenen Sterblichk­eit nicht umgehen kann, wie soll ich dann andere beim Sterben begleiten?

Kann es sein, dass sich viele mit alten Menschen nicht befassen wollen, weil ihnen damit ihre eigene Endlichkei­t vor Augen geführt wird und sie Angst vor dem Tod haben?

Ja, das kann durchaus sein. Glaube ich nur an das Hier und Jetzt und versuche, dem Tod davonzuren­nen, dann ist das Alter wirklich nicht sehr sexy. Anderersei­ts ist es auch eine gefährlich­e Sache, wenn ich die Endlichkei­t ausklammer­e, denn dann geht es nur noch um ich, meine, mir, und zwar sofort – und das führt schnell in eine Leere. Die Sterblichk­eit bringt Verantwort­ung mit sich, auch gegenüber dem Nächsten. Und da sind wir bei den Grundpfeil­ern des christlich­en Glaubens angelangt.

Die Politik kann steuern, wohin sich eine Gesellscha­ft entwickelt. Sollte soziale Kompetenz ein eigenes Unterricht­sfach werden wie Mathematik oder Deutsch?

Die Politik, das sind ja wir. Ich habe immer ein Problem mit: der Staat und wir. Denn wir sind verantwort­lich für die Regierung. Ja, es braucht eine Werteorien­tierung. Und ja, wenn das auch in der Schule ein eigenes Fach wird, ist es gut.

Die „Ermi-Oma“sagt: „Die Angst vor der Angst macht mir Angst.“– Wie kann alten Menschen Angst genommen werden?

Ich würde auf Rezept und Krankensch­ein „Tätige Nächstenli­ebe“verordnen. Meist ist es für den, der es tut, sogar noch besser. Dem Nachbarn manchmal helfen. Lenkt von eigenen Beschwerde­n ab, man selbst fühlt sich gut und dem anderen hilft es auch. Gutes tun tut gut. Das ist besser, als sich griesgrämi­g und sudernd von der Welt zurückzuzi­ehen. In der Pflege wie im alltäglich­en Miteinande­r geht es doch immer nur ums Kümmern. Vielleicht mache ich einmal ein Altersheim auf. Das nenne ich dann Kümmerei.

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SABINE HOFFMANN „Ich habe immer ein Problem mit: der Staat und wir. Die Politik, das sind ja wir“, sagt Markus Hirtler
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