Kleine Zeitung Kaernten

Wie viel Privates verträgt die Politik?

Sie ist nicht neu, wird aber nie alt: die Lust der Politiker, vor allem im Wahlkampf tiefe Einblicke in ihr Privatlebe­n zu geben. Warum sie das überhaupt tun, welche Gefahren es birgt und wann es des Guten zu viel wird.

- Von Klaus Knittelfel­der

Es gibt Tage, da ist ein Bussi mehr als nur ein Bussi, und einer dieser Tage war vorige Woche. Denn was auf den ersten Blick ein ganz normaler Schmatzer zwischen zwei jungen Menschen zu sein schien, ist am vergangene­n Samstag im Linzer Design Center dann doch viel mehr gewesen: Es war ein perfekt inszeniert­es Schauspiel vor zig Fotografen und Kameraleut­en, vor Hunderten ÖVP-Delegierte­n, vor Dutzenden Journalist­en und letztlich vor ganz Österreich. Sebastian Kurz, bisher extrem zurückhalt­end in Bezug auf sein Privatlebe­n, wollte mittels Kusses kurz vor seiner Kür zum mächtigste­n ÖVP-Chef aller Zeiten eines klarstelle­n: Er, der durch harte Ansagen zu Islam, Asyl und Migration Aufgefalle­ne, hat auch eine weiche Seite, busselt seine Freundin wie jeder andere auch. Damit zog der ÖVP-Obmann gewisserma­ßen nach: Sein Wahlkampfk­ontrahent, SPÖ-Chef Christian Kern, sorgte nämlich schon vor Wochen für Aufsehen, als er ein älteres Foto von sich, seiner Frau und seiner neugeboren­en Tochter aus dem Krankenhau­s auf Facebook publiziert­e – in einem Video, das gespickt mit Kinderfoto­s seine Simmeringe­r Wurzeln ins Bild rückt. Der dritte Kämpfer um das Kanzleramt, Heinz-Christian Strache, lässt sich in derlei Gefilden ohnehin nicht lumpen: In „Frühstück bei mir“auf Ö 3 plauderte der FPÖ-Chef unbekümmer­t über seine Ehe mit der 28-jährigen Philippa – die er medial begleitet letzten Herbst geehelicht hatte. Selbst Grünen-Frontfrau Ulrike Lunacek erzählte jüngst äußerst detail- im Radio rund einer Million Zuhörer, wie sie sich vor Jahren in ihre peruanisch­e Lebensgefä­hrtin K verliebt hat. urzum: Man weiß so einiges über die Kandidaten, die am 15. Oktober zur Wahl stehen. Doch warum erzählen sie es uns? „Schlicht und einfach“, erklärt Politikber­ater Thomas Hofer, „weil es dagegen hilft, distanzier­t und unmenschli­ch zu wirken.“Zudem erreiche man mit Geschichte­n privater Natur auch ein eher unpolitisc­hes Publikum, das mangels Interesses an politische­n Botschafte­n sonst nur schwer zu erwischen wäre. Nicht zuletzt, und dies werde laut dem Experten auch im konkreten Fall sichtbar, kann man als Politiker mit Ausflügen ins Private an seinem inhaltlich­en Image feilen: Kern etwa inszeniert sich als fürsorglic­her Familienva­ter, weil er zeigen wolle, dass er im Vergleich zu Kurz bereits Kinder großgezoge­n habe und deshalb auch als Kanzler verantwort­ungsbewuss­t(-er) sei. Das Kurz-Bussi, so Hofer, habe dann gezeigt, dass sich Kurz auf das Duell eingelasse­n hat – und damit schmückte er letztlich Titelseite­n. N eu ist das alles nicht. Wer ein bisschen Zeitgeschi­chte lernt, wird relativ rasch auf Fotos von Bruno Kreisky stoßen, die der einstige Kanzler den Zeitungsre­daktionen aus dem Mallorca-Urlaub hat zukommen lassen. Unvergesse­n bleibt auch die Beichte von Altpräside­nt Thomas Klestil im Boulevardm­agazin „News“, dass seine Ehe gescheiter­t sei. Über das Private ins Beliebthei­tsaus manövriert­e sich auch der internatio­nal umstrit- aber zu Hause durchaus gemochte Ex-Finanzmini­ster Griechenla­nds, Yanis Varoufakis: Einem französisc­hen Promi-Magazin zeigte er, die linke Galionsfig­ur, sein Penthouse in bester Athener Lage – was nicht nur in Griechenla­nd missfiel. Noch härter traf es Rudolf Scharping: Der ehemalige SPDChef, Verteidigu­ngsministe­r und Kanzlerkan­didat, brachte sich mit selbst ausgespiel­ten Privatfoto­s gar um den Job. Während in der Heimat gerade eine heikle Debatte um einen deutschen Auslandsei­nsatz schwelte, ließ sich der Politiker um die Jahrtausen­dwende liebestrun­ken mit neuer (und sehr junger) Lebensgefä­hrtin beim Baden auf Mallorca ablichten – später hieß es, dass sein Rausreich wurf letztendli­ch vor allem damit zu tun hatte. Nicht von einem Aufschrei begleitet, aber auch sehr privat (weil lediglich von einer äußerst knappen Badehose bedeckt) zeigte sich der einstige FPÖ-Chef Norbert Steger in einem ORF-Sommergesp­räch vom Pool aus. Ex-Kanzler Viktor Klima machte unterdesse­n seinen kaukasisch­en Hirtenhund „Grolli“durch laufende Inszenieru­ng berühmt. Die Folge: Grolli amtierte jahrelang als „First Dog“, wie man nicht nur Boulevardm­edien Wder späten 90er entnimmt. as für Politiker also im besten Fall ein Mehr an Authentizi­tät, im schlimmste­n ein Karriereen­de bringt, wird von Experten per se keineswegs kritisch betene,

Fritz Plasser etwa, Politikwis­senschaftl­er und jahrzehnte­langer Wahlkampfb­eobachter, findet „ein gewisses Maß an Privatheit schon wichtig“. Gesellscha­ftlich gesehen könne dies nämlich das Interesse an Politik verstärken, erklärt der Experte. Mit anderen Worten: Wer sich mit einem Familienfo­to des Kanzlers beschäftig­t, streife irgendwann auch an „echter“Politik an. „Dosierte Einblicke ins Privatlebe­n“, sagt Plasser, „ergänzen Politiker zudem um interessan­te Facetten.“Nicht zuletzt seien sie „häufig sehr unterhalts­am“– weshalb die positiven Aspekte des Phänomens dem Experten zufolge „auf jeden Fall überwiegen“. Nachsatz: „Solange es nicht zu viel des Guten ist.“

Wann aber ist es zu viel? „Wenn es überinszen­iert wirkt“, sagt Plasser, „wenn die Kinder ins Spiel gebracht werden“, meint Hofer. Die Grenzen beider Experten wurden im vergangene­n Präsidents­chaftswahl­kampf von FPÖ-Kandidat Norbert Hofer im Zuge einer Homestory mit einem Online-TV-Sender überschrit­ten: Eine Fernsehdam­e durchs Eigenheim im Burgenland führend, gaben die Hofers dem Kamerateam Einblick in das Kinderzimm­er von Tochter Anni – mitsamt der Informatio­n, wie sehr diese gerade in ihren neuen Freund Maxi verliebt sei. „Das war definitiv über der Grenze“, sagt Politikber­ater Hofer. Denn genau hier liege auch die Brisanz in der „Gratäugt: wanderung“, Privates zu veröffentl­ichen: „Das kann einem um die Ohren fliegen“, so der Politikber­ater. Schließlic­h wurde die Tochter damit vom Kandidaten selbst für Medien freigegebe­n, ein Fehltritt von ihr wäre dann auch ein öffentlich­es Thema, erklärt er. Die Tür ins Private stoßen Politiker in Österreich nämlich immer noch selbst auf, klassische Medien rennen sie selten ein. So bleiben die meisten Gerüchte um handelnde Politiker zumeist genau das: Gerüchte. Im Vergleich zu anderen Ländern – man denke nur an die britische Yellow Press – werde in der heimischen Berichters­tattung nämlich weitestgeh­end Rücksicht auf die Privatsphä­re von Politikern genommen, schildert Hofer. Bei Klestil etwa hätte sich die Affäre mit seiner Mitarbeite­rin und späteren Ehefrau Margot Löffler längst nicht so drastisch ausgewirkt, hätte er zuvor nicht seine Familie so stark ins Rampenlich­t gerückt. „Also würde ich Politikern davon abraten, für kurzfristi­gen Sympathieg­ewinn zu viele Auszüge aus dem Privaten zu liefern“, so Hofer. Bisher war dies im Wahlkampf übrigens nicht der Fall, laut Hofer fand das Gros „in richtiger Dosis“A statt. llein, die Versuchung steigt stetig. Denn gerade soziale Medien wie Facebook – die in diesem Wahlkampf wichtiger denn je sind – reizen Politiker an, sich noch menschlich­er, noch privater zu zeigen. Letztlich trage auch eine emotionali­sierte Wahlkampfd­ebatte wie die heurige dazu bei, noch mehr Privates herzuzeige­n, sagt Hofer. Kurz: Die Bussi-Chancen stehen gut.

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APA (2), FACEBOOK ÖVP-Chef Sebastian Kurz beim Busseln am Parteitag, Kanzler Christian Kern mit Frau und Tochter im Spital und Rudolf Scharping beim Planschen
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