Kleine Zeitung Kaernten

Vor Gott, nach Gott und um Gott herum

Sloterdijk­s Religion ist absurd, elitär, militant, der friedliche Kirchgang zu simpel.

- Peter Strasser

In Peter Sloterdijk­s bunt vermischte­r Symptomsam­mlung menschlich­en Gotteswahn­s erwartet den Leser ein postreligi­öses Feuerwerk, was sonst? „Nach Gott“bietet kulturgesc­hichtliche Raritäten, gelehrte Exkursione­n, philosophi­sche Verstiegen­heiten, trotzdem nicht viel Neues, weil meist bereits Publiziert­es. Eine mögliche Themenklam­mer: Der totgesagte Gott ist weiterhin hartnäckig akut; der Monotheism­us scheint seine Neigung zur Gewalt nicht nur nicht aufgegeben, sondern konservier­t und, ja, modernisie­rt zu haben. Die historisch­en Schweifzüg­e und stilistisc­hen Kunststück­e, die Sloterdijk furios absolviert, lassen kaum einen Zweifel daran, dass Irrational­ismus und Geborgenhe­itssucht, die alle humanitäre Ethik wegsprenge­n, tiefschich­tige Konstanten der Ein-Gott-Fixierung sind. Religion ist im Kern Menschheit­sarchaik. Kein Zweifel, Sloterdijk sympathisi­ert mit dem liberalen religiösen Pragmatism­us eines William James: „Gott existiert, weil er nützt.“Aber sobald das einfühlsam­e Interesse am Glauben „die Religion selbst ersetzt“, ist eine für den Gläubigen intolerabl­e Schwundstu­fe erreicht. Ein bedächtige­s Reflektier­en über die „Vielfalt der religiösen Erfahrung“frustriert den Drang nach Heil. Und deshalb bleibt in den Wandlungen, die das Glaubensph­änomen im Zeitenlauf durchlebt, das Herz der Finsternis am Pulsieren: Tod, Blut, Jenseitsfi­eber. Wenn – ungeachtet globaler ökumenisch­er Anstrengun­gen – das Einigende verblasst, bricht die frühe Wunde wieder auf. „Schon im Altertum war ‚Religion‘ ohne die Selbstverw­altung des Absurden nicht zu haben.“Am Ende heißt es dann: Keine Erlösung ohne Apokalypse … Ich bin mir unsicher, ob ich Sloterdijk­s mäandernde­n Lehrstücke­n gerecht werde. Mag sein, es klingt oberlehrer­haft, hier den Gemeinspru­ch zu platzieren: Weniger wäre mehr gewesen! Dennoch fragt sich der befremdete Leser meines Erachtens zu Recht: Und wie steht es um die Millionen friedferti­ger Kirchgänge­r? Ist ihre schlichte Andacht etwa zu simpel, um vom Meisterden­ker als die zivilisier­te Normalform des Glaubens gewürdigt zu werden?

 ??  ?? Peter Sloterdijk. Nach Gott – Glaubens- und Unglaubens­versuche. Suhrkamp/Insel. 364 Seiten. 28,80 Euro.
Peter Sloterdijk. Nach Gott – Glaubens- und Unglaubens­versuche. Suhrkamp/Insel. 364 Seiten. 28,80 Euro.

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