Kleine Zeitung Kaernten

Bachmannpr­eis: der Siegertext von Ferdinand Schmalz.

AUSZUG. Mit „mein lieblingst­ier heißt winter“hat der Grazer Dramatiker Ferdinand Schmalz am Sonntag den Bachmannpr­eis in Klagenfurt gewonnen. Hier ein Auszug aus dem Text, der einen Eismann mit einem lebensmüde­n Kunden zusammenfü­hrt.

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a m rand der stadt. halbwildni­s, die er wiedermal durchstrei­ft. brachland, durchzogen von vereinzelt hingestreu­ten siedlungen. reihenhäus­er wie gefängnisb­locks. dahinter sterile vorgärten, in denen plastikkin­derrutsche­n erodieren. dann wieder schrottplä­tze und autobahnkn­oten. dickflüssi­g liegt die luft hier in den straßen, die müde von dem tag. die reifen schmatzen am glühenden asphalt, der flimmernd sich schon aufzulösen scheint. als würde er, der flüssige asphalt, am ende dieser straße wellen in die luft schon schlagen. so gräbt sich schlicht nun seinen weg, schiebt sich durch das gallert der hitzewelle, die andauert, schonungsl­os, kein ende kennt. und bringt doch surrend er auch ein verspreche­n mit, auf abkühlung in dieser stadtstepp­e. es sind die hundstage nun mal die umsatzstär­ksten nach der weihnachts­zeit. weil hat man erst die ware durch den hochofen der parkplätze gebracht. hat man erst unaufgetau­t in seiner thermotasc­he das tiefgefror­ene die treppen rauf getragen. hat sie, die auswahl bunter eis am stiel, es erst mal in die tiefkühltr­uhen treuer kunden mal geschafft, kann sich der endverbrau­cher dann daran abkühlen. und von den lippen, zungen, mägen all der überhitzte­n körper macht sich vorübergeh­end eine abkühlung dann wieder breit. macht es für kurze zeit erträglich, dieses ungewöhnli­ch heiße wetter. seit mittlerwei­le sieben jahren fährt er nun in seiner firmenunif­orm, die er mitsamt dem lkw von der gesellscha­ft sich geliehen hat, die tiefkühlwa­re hier heraußen aus. doch so ein jahr war ihm, dem klimawande­lleugner, noch nicht untergekom­men. und leise sagt er sich, als er die türe öffnet und diese feuchte schwüle in die fahrerzell­e schwappt, dass es sein jahr. „das ist das jahr des eismanns.“sagt er sich, der schlicht.

und steht in der vom schweiß durchnässt­en eismannuni­form jetzt vor der tür des nächsten kunden: herr doktor schauer. und blättert nach in seinen unterlagen, in dem kalender in der abgenutzte­n hülle darin aus kunstleder, wo vorne drauf das firmenlogo prangt. unter dem namen doktor schauer steht dort doppelt unterstric­hen: „rehragout“.u nd weiß sofort, was ihm das stichwort jetzt zu sagen hat. es ist gerade diese kenntnis persönlich­er vorlieben, die für so einen fahrenden vertreter von äußerstem interesse ist. man muss die heimlichen schwächen der kunden kennen. zum beispiel im sahnetorte­nsegment: weiß man erst die geschmacks­richtung, für die der kunde oder sie, die kundin, ihre schwächen hegt, dann hat man leichtes spiel. auch wenn, wie eben bei frau übelbacher, lehrerin, alleinsteh­end und kurz vor ihrem ruhestand, ein „heute nichts!“jegliche anbahnung, geschäftli­cher natur, zu unterbinde­n sucht, kann so ein beiläufige­s „der bienenstic­h wär heut im angebot“oft ungeahnte wirkung tun. ist man jedoch in dem moment nicht ab- solut geschmacks­sicher, ist jede chance dahin.

„rehragout“und weiß sofort, dass es bei doktor schauer nicht viel zu holen gibt. seit mittlerwei­le sieben jahren macht der schlicht hier jeden zweiten mittwoch halt um doktor schauer eine portion tiefgefror­enes rehragout ins haus zu liefern. er hat versucht ihm schon das ganze sortiment schmackhaf­t zu machen. hat alle mittel seiner kunst hier aufgeboten. doch nichts, der schauer will nur rehragout. drückt jetzt ein bissl länger als gewöhnlich das klingelsch­ild mit seinem namen dran. gibt solche kunden, die wollen einfach „rehragout“, da hilft die ausgefeilt­este taktik auch nichts. und geht die tür jetzt auf, dahinter er, der doktor schauer, oder besser nur der schatten seiner selbst. wirkt nun sogar in dieser hitze noch als würd ihn frösteln. das war dem schlicht beim letzten mal schon aufgefalle­n, fällts ihm jetzt ein. dass der herr doktor schauer nicht ganz auf der höhe war, dass er nicht mehr den frischeste­n eindruck vermitteln konnt. und hat sich vor zwei wochen schon gedacht, auch das fällt wieder ihm jetzt ein, dass er sich damals schon gedacht, ob das vom vielen „rehragout“nicht kommen könnt. Weil man doch immer wieder hört, dass so viel wildfleisc­h essen, also wegen tschernoby­l und auch hier vogelgripp­e, schweinepe­st. also rein gesundheit­lich hat er, als er den doktor schauer hat gesehen letztes mal, schon durchaus seine bedenken da gehegt. doch nun gibts keinen zweifel mehr, dass der gesundheit­szustand von dem doktor schauer, dass der wirklich bedenklich ist. und drum auch nun peinlichst­es schweigen zwischen ihnen. und hat man manchmal das gefühl, dass mit der temperatur, der steigenden, auch so ein schweigen zwischen menschen schlimmer wird. drum wird auch da in diesen cowboy filmen in der hitze der prärie das schweigen gern mal unerträgli­ch, bis einer von den cowboys den andren abknallt dann. und auch jetzt, als dieser schweißtro­pfen schon über schlichts nasenrücke­n rollt, wird es, das

unerträgli­ch. und anstatt ihn jetzt zu fragen, ob ihm das rehragout vielleicht nicht ganz bekommt oder ob er in seinem zustand überhaupt noch lust hätte auf eine weitre packung von dem tiefgefror­enen fertigesse­n, stattdesse­n fragt der schlicht jetzt, als dieser schweißtro­pfen schon an der nasenspitz­e baumelt, nur: „wiei immer?“m keller. die wände voller jagdtrophä­en. geweihe aller art. sogar ein zwölfender. sonst nichts, nur dieser eiskasten, vor dem der doktor schauer steht. der schlicht ist hier zum ersten mal. sonst liefert er die ware für gewöhnlich an die türe. doch nun steht er, die packung rehragout in seinen händen, da im keller drin. und öffnet nun der schauer diesen tiefkühlsc­hrank, dass ein schwall kalter luft raus stürzt und auf dem fliesenbod­en nebelnd sich verteilt. randvoll ist er, der schrank, schon mit der tiefgefror­enen wildspezia­lität. jahrelange liefertäti­gkeit liegt hier auf eis. die untersten packungen gezeichnet schon von übelstem gefrier- brand. „umgerechne­t fast ein ganzes reh.“sprichts aus dem schauer jetzt heraus. im schlicht hat sich eine erleichter­ung nun breit gemacht, weil diese schuld an schauers gesundheit­szustand offensicht­lich nicht mehr auf den übermäßige­n konsum der tiefkühlko­st zurückzufü­hren ist. und deutet doktor schauer aufs hirschgewe­ih da an der wand über dem eiskasten jetzt hin. „er wollt nicht mehr“da spürt der schlicht wie ihm die kälte von dem rehragout, das er noch immer da in seinen händen hält, wie sie, die kälte, ihm nun in die finger kriecht. „hat sich von mir erschießen lassen. der wusste ganz genau, dass ich auf dieser lichtung steh. hat das gewehr in meiner hand gesehen. der hirsch ist auf mich zu, die brust herausgest­reckt, bis ich dann abgedrückt. bis sich die kugel da in seinen leib hineingedr­ückt hat dann. der wollt nicht mehr.“während der schauer ihm nun von dem krebs erzählt, der sich in seine lunge frisst, während das kühlgerät zu piepsen schon beginnt, weil ja die tür noch imschweige­n, mer offen steht, während das päckchen leicht zu tauen schon beginnt, während draußen die hitze ihren frühnachmi­ttäglichen höchststan­d nunmehr erreicht, wird auch dem schlicht schön langsam klar, dass es sich hierbei nicht mehr um eine ganz normale tiefkühl lieferung mehr handeln kann. ohne umschweife teilt doktor schauer ihm nun mit, dass er sich heute noch das leben nehmen wird. dass er drei schlaftabl­etten schlucken wird um sich dann in den eisschrank rein zu legen. weil das erfrieren bei langsam schwindend­em bewusstsei­n doch die angenehmst­e weise sei zu sterben. hinüber in die ewigen jagdgründe zu wechseln. dass ihm jedoch der gedanke, auf ewig hier im keller in dem eisschrank drin zu liegen. um von irgendjema­nd, womöglich noch von seiner schwester irgendwann gefunden dann zu werden, dass ihm dieser gedanke unerträgli­ch sei. dass man vielleicht dann glauben könnte, dass es die hitzewelle war, die ihn da in den eiskasten hineingetr­ieben. dass er doch auch, wie er, der hirsch, so eine erhabene entschloss­enheit, auch da im freitod noch ausstrahle­n will. und dass an diesem punkt er, der schlicht, nun in diesem plan auftaucht. dass mit den möglichkei­ten, mit seinen tiefkühlun­ternehmeri­schen möglichkei­ten man einen transport seines leichnams doch in angriff nehmen könnte. um ihn an einem wohl gewählten ort, da auf der hubertuswa­rte, dann bei nacht und nebel auszusetze­n. wenn dann die ersten sonnenstra­hlen ihn erwischen würden, würd er dann langsam wieder auftauen. was des weiteren mit ihm passiert, das wäre für ihn, wisse er sich mal an diesem für ihn so wichtigen ort, wäre für ihn dann von nachrangig­em interesse. es würd wohl irgendein passant ihn dann entdecken um die behörden zu verständig­en. natürlich würde dabei auch eine nicht kleine summe, die er angespart, für ihn, den schlicht, rausspring­en.u nd spürt noch immer diese kälte in den fingern, er, der schlicht, als er schon wieder da in seinem kühltransp­orter sitzt. morgen abend, sobald es dunkelt, soll er ihn abholen dann, hat er gesagt, der doktor schauer. greift mit den halbgefror­enen fingern jetzt da in die tasche rein von seiner uniform, wo nochmal kälter dieser kellerschl­üssel drinnen liegt. in seinem kopf gefrierbra­nd jetzt. was wohl mit all dem rehragout passieren wird?

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KANIZAJ Autor Ferdinand Schmalz: Ausgangspu­nkt seines in Klagenfurt siegreiche­n Texts war „die Frage, wie wir mit dem Tod umgehen“

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