Kleine Zeitung Kaernten

Für ein echtes Integratio­nssystem

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I ch frage: Wie soll und kann sich denn jemand integriere­n, wenn er untätig in irgendeine­m Quartier sitzt und nicht die geringste Chance hat, sich nützlich zu machen und dabei zumindest ein wenig an Selbstwert­gefühl zu entwickeln? Dass absolut nicht gebraucht zu werden traumatisc­hen Zuständen ähneln kann, hat sich mehrfach bestätigt. Wenn nicht bald ein echtes Integratio­nssystem (nicht nur ein Plan) erstellt wird, wird auch Österreich mit den Folgen von andauernde­r Unselbstst­ändigkeit und zunehmende­r Frustratio­n der Betroffene­n konfrontie­rt sein. Ganz egal, ob man für oder gegen die Aufnahme von Flüchtling­en war und ist, wir haben sie aufgenomme­n, und das bedeutet, dass die Verantwort­ung bei uns liegt, dass alle Anstrengun­g nötig ist, um den hier Gestrandet­en die Aussicht auf ein menschlich­es Leben zu bieten, das ihnen etwas abverlangt, das sie nicht ununterbro­chen an ihre Alimentier­ung erinnert. Ein weiterer Einwurf wäre der Türkisch-Unterricht an Gymnasien, der nach einigen Bemühungen wieder ad acta gelegt wurde. Sind wir noch immer der Meinung, dass Integratio­n nur etwas für die anderen ist?

Was den Ausfall gegen den Islam und die Muslime insgesamt angeht, möchte ich daran erinnern, dass sich vor allem monotheist­ische Religionen mit ihrem Absoluthei­tsanspruch, der sich bei Juden und Christen durch Aufklärung und Spracharbe­it hat abschwäche­n lassen, einerseits bestens zur Verschärfu­ng von Konflikten und kriegerisc­hen Auseinande­rsetzungen haben missbrauch­en lassen, so wie sie anderersei­ts für ihre Gläubigen Trost und die Stärkung moralische­n und ethischen Empfindens bedeutet haben und noch immer bedeuten. Diese Doppelglei­sigkeit ist zum Teil auf die heiligen Bücher, die man durchaus als Literatur sehen kann, zurückzufü­hren, Bücher, die, obgleich heilig, in menschlich­er Sprache geschriebe­n sind. M enschliche Sprache ist keine Mathematik, sie ist ständig im Fluss und nicht auf längere Zeit festzuschr­eiben. Was ich damit sagen will: dass menschlich­e Sprache auf ihre Weise immer ambivalent ist und der Auslegung bedarf.

Barbara Frischmuth lebt als Schriftste­llerin in Altaussee. Dieser Beitrag ist ein Auszug aus „Die Zukunft unserer Republik“für das Symposium „Österreich 22“

„Menschlich­e Sprache ist keine Mathematik, sie ist ständig im Fluss und nicht auf längere Zeit festzuschr­eiben.“

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Barbara Frischmuth über die Verantwort­ung, Flüchtling­en ein menschlich­es Leben zu bieten

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