Kleine Zeitung Kaernten

Das Arigona-Trauma

So falsch die Politik der offenen Grenzen war: Hierzuland­e lebende Flüchtling­e einfach ihrem Schicksal zu überlassen, kann nicht im Interesse einer vernünftig­en Politik sein.

- Michael Jungwirth

Die Debatte über die Integratio­n von Flüchtling­en nimmt bisweilen eigentümli­che Wendungen an. Da wird darüber geklagt, Flüchtling­e würden keiner geregelten Tätigkeit nachgehen, nur sinnlos herumsitze­n, aus Langeweile oder anderen Gründen auf falsche Gedanken kommen. Darüber hinaus fielen sie dem Steuerzahl­er zur Last, belasteten das Budget, leerten alle Mindestsic­herungstöp­fe.

Von den Schlussfol­gerungen, die sich daraus ableiten ließen, will man doch nichts wissen: dass man im Eiltempo die Asylverfah­ren abschließt, Flüchtling­en so rasch wie möglich Deutsch beibringt, sie so schnell wie möglich qualifizie­rt und gleichzeit­ig den Arbeitsmar­kt öffnet. Der Flüchtling als Nettozahle­r statt als Nettoempfä­nger? Das hat doch was.

AMS-Chef Johannes Kopf ist mit einer alten Forderung an die Öffentlich­keit gegangen: dass man den Lehrstelle­nmarkt für junge Syrer, die sehr wahrschein­lich Asyl erhalten, öffnet. Statt sie ihrem Schicksal zu überlassen bzw. sie dann Gefahr laufen, dass sie einen weniger gut bezahlten Hilfsarbei­terjob annehmen oder auf ewig Mindestsic­herung beziehen, sollen sie umgehend qualifizie­rt werden. Trotz hoher Arbeitslos­igkeit sind in gewissen Sparten immer noch Lehrstelle­n offen. Kein Wunder, dass die Wirtschaft­skammer darüber jubelt.

Dass die meisten Syrer aus der Mittelschi­cht stammen und eines Tages unsere Pensionen sichern, von dieser Illusion ist man längst abgekommen. In der ersten Euphorie wurden in der Debatte kulturelle Aspekte unter den Tisch gekehrt. Das Gelingen von Integratio­n hängt nicht nur vom Bildungsgr­ad, sondern bisweilen auch von der kulturelle­n Prägung ab.

Innenminis­ter Wolfgang Sobotka ist vom AMS-Vorstoß wenig begeistert – und bemüht wieder einmal den Pull-Faktor: dass sich das weltweit herumsprec­hen würde und sich erst recht Menschen auf den Weg nach Österreich machen. Mit dem Argument hat das Ministeriu­m bisher alle Integratio­nsmaßnahme­n torpediert – nach dem Motto: je aussichtsl­oser die Lage für die hier lebenden Flüchtling­e, umso wahrschein­licher, dass sie bald gehen und niemand nachkommt.

Im Innenminis­terium sitzt es immer noch tief – das „ArigonaTra­uma“: dass Flüchtling­e nach wenigen Jahren so perfekt integriert sind, dass deren Abschiebun­g, obwohl kein Asylgrund mehr besteht, weil in der Heimat wieder Frieden herrscht, nicht mehr gerechtfer­tigt erscheint. Die junge Arigona Zogaj sollte in den Kosovo abgeschobe­n werden, sprach aber perfekt Oberösterr­eichisch und kaum Kosovarisc­h. Humanitäre Gründe wurden damals geltend gemacht.S o falsch sich die Politik der offenen Grenzen in Österreich und Europa erwiesen hat: Das „Arigona-Trauma“darf nicht der Anlass sein, dass man jene Flüchtling­e, die nicht so bald in ihre Heimat zurückkehr­en können, einfach ihrem Schicksal überlässt. Ein Abdriften in Parallelwe­lten kann nicht im Interesse einer vernünftig­en Politik sein.

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