Das Arigona-Trauma
So falsch die Politik der offenen Grenzen war: Hierzulande lebende Flüchtlinge einfach ihrem Schicksal zu überlassen, kann nicht im Interesse einer vernünftigen Politik sein.
Die Debatte über die Integration von Flüchtlingen nimmt bisweilen eigentümliche Wendungen an. Da wird darüber geklagt, Flüchtlinge würden keiner geregelten Tätigkeit nachgehen, nur sinnlos herumsitzen, aus Langeweile oder anderen Gründen auf falsche Gedanken kommen. Darüber hinaus fielen sie dem Steuerzahler zur Last, belasteten das Budget, leerten alle Mindestsicherungstöpfe.
Von den Schlussfolgerungen, die sich daraus ableiten ließen, will man doch nichts wissen: dass man im Eiltempo die Asylverfahren abschließt, Flüchtlingen so rasch wie möglich Deutsch beibringt, sie so schnell wie möglich qualifiziert und gleichzeitig den Arbeitsmarkt öffnet. Der Flüchtling als Nettozahler statt als Nettoempfänger? Das hat doch was.
AMS-Chef Johannes Kopf ist mit einer alten Forderung an die Öffentlichkeit gegangen: dass man den Lehrstellenmarkt für junge Syrer, die sehr wahrscheinlich Asyl erhalten, öffnet. Statt sie ihrem Schicksal zu überlassen bzw. sie dann Gefahr laufen, dass sie einen weniger gut bezahlten Hilfsarbeiterjob annehmen oder auf ewig Mindestsicherung beziehen, sollen sie umgehend qualifiziert werden. Trotz hoher Arbeitslosigkeit sind in gewissen Sparten immer noch Lehrstellen offen. Kein Wunder, dass die Wirtschaftskammer darüber jubelt.
Dass die meisten Syrer aus der Mittelschicht stammen und eines Tages unsere Pensionen sichern, von dieser Illusion ist man längst abgekommen. In der ersten Euphorie wurden in der Debatte kulturelle Aspekte unter den Tisch gekehrt. Das Gelingen von Integration hängt nicht nur vom Bildungsgrad, sondern bisweilen auch von der kulturellen Prägung ab.
Innenminister Wolfgang Sobotka ist vom AMS-Vorstoß wenig begeistert – und bemüht wieder einmal den Pull-Faktor: dass sich das weltweit herumsprechen würde und sich erst recht Menschen auf den Weg nach Österreich machen. Mit dem Argument hat das Ministerium bisher alle Integrationsmaßnahmen torpediert – nach dem Motto: je aussichtsloser die Lage für die hier lebenden Flüchtlinge, umso wahrscheinlicher, dass sie bald gehen und niemand nachkommt.
Im Innenministerium sitzt es immer noch tief – das „ArigonaTrauma“: dass Flüchtlinge nach wenigen Jahren so perfekt integriert sind, dass deren Abschiebung, obwohl kein Asylgrund mehr besteht, weil in der Heimat wieder Frieden herrscht, nicht mehr gerechtfertigt erscheint. Die junge Arigona Zogaj sollte in den Kosovo abgeschoben werden, sprach aber perfekt Oberösterreichisch und kaum Kosovarisch. Humanitäre Gründe wurden damals geltend gemacht.S o falsch sich die Politik der offenen Grenzen in Österreich und Europa erwiesen hat: Das „Arigona-Trauma“darf nicht der Anlass sein, dass man jene Flüchtlinge, die nicht so bald in ihre Heimat zurückkehren können, einfach ihrem Schicksal überlässt. Ein Abdriften in Parallelwelten kann nicht im Interesse einer vernünftigen Politik sein.