Kleine Zeitung Kaernten

Ist die Wahrheit eine gewaltlose Macht?

Wenn die Wissenscha­ft zwischen politische Fronten gerät. Peter Strasser in der jüngsten Ausgabe der Wochenzeit­ung „Furche“anlässlich der umstritten­en Studie über islamische Kindergärt­en in Wien.

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Es war ein Sturm der Entrüstung, der sich vergangene Woche Bahn brach. Laut „Falter“sollten gewisse Teile jener Studie über „islamische Kindergärt­en“, welche der Wiener Religionsp­ädagoge Ednan Aslan erstellt hatte, im Integratio­nsminister­ium umgeschrie­ben worden sein – und zwar zulasten der untersucht­en Institutio­nen. Dass sich in einem solchen ministerie­llen Verhalten – offenbar gedeckt durch den akademisch­en Leiter der Studie – die übliche arrogante Erwartungs­haltung des politische­n Auftraggeb­ers widerspieg­elt, ist offensicht­lich: Wer bezahlt, darf erwarten, dass man seine Vorurteile bestätigt, besonders in politisch sensiblen Zeiten, wie es jene vor Wahlen naturgemäß sind. Der Wiener Bürgermeis­ter sprach gar von Fälschung. Dem muss man entgegenha­lten, dass die Studie insgesamt eine bedenklich­e Tendenz zur Indoktrina­tion auch im staatlich geförderte­n Kindergart­enbereich für muslimisch­e Kinder – und diese Tendenz lässt sich nicht wegdiskuti­eren. Hat also die Wissenscha­ft letztlich im Sinne unseres liberaldem­okratische­n Gemeinwese­ns einen Sachverhal­t herausgear­beitet, der von den linken Kräften unseres Landes gerne lange Zeit überspielt wurde? Und hat sie insofern, als empirisch wertfrei operierend­e Institutio­n, nicht dazu beigetrage­n, eine bedenklich­e, weil gegen unsere Grundwerte gerichtete Tendenz in einem Segment unserer Gesellscha­ft aufzuzeige­n? Ja. Und doch auch wieder, mit Vorbehalt gesagt: Nein. Akademiker tun sich oft schwer damit, richtig einzuschät­zen, in welchem Gesamtkont­ext – moralisch, politisch, ökonomisch, technologi­sch - ihre grundsätzl­ich untadelige­n Aussagen Wirkung entfalten. Wobei es nicht der schlechtes­te Ratschlag wäre, dass sich die Wissenscha­ft gegenüber der Politik „neutral“verhalten sollte – aber dies auch nur insoweit, als die Politik es unterlässt, die Wissenscha­ft zu instrument­alisieren. Wissenscha­ft ist nicht Ideologiek­ritik. Denn jede Kritik am Ideologisc­hen muss, sofern keine Wahrheitsf­ragen im Spiel sind, die sich objektiv klären lassen, ihrerseits Werte in Stellung bringen, die keine streng rationale Lösung zulassen. Die Studie, auf die sich nun der bejubelte Führer der SebastianK­urz-Partei, nämlich Sebastian Kurz, beruft, um seine harte Linie in der sogenannte­n Integratio­nsfrage zu unterbauen, wird jedenfalls politisch „kontextual­isiert“, ob ihre Mitaufzeig­t arbeiter dies wollen oder nicht. Sie ist ein Stein in jenem Mosaik aus Aversionen, Verdächtig­ungen und Befürchtun­gen, denen die Muslime in Österreich immer stärker unterliege­n. Offiziell geht es dabei um lauter Probleme, die man nicht einfach wegschiebe­n kann. Immigrante­n und Asylwerber müssen sich den Prinzipien, die unsere Verfassung, unser bürgerlich­es Recht und unsere aufgeklärt­e Sicht der Welt kennzeichn­en, „anpassen“, wozu selbstvers­tändlich das

Erlernen der deutschen Sprache gehört. Schön und gut. Aber wir unserersei­ts fragen uns kaum noch, wie viel an Kulturverl­ust wir der „Gegenseite“– und die muslimisch­e Kommunität wird bereits als ein undifferen­ziertes Gegenüber verbucht – abverlange­n dürfen. Wir sollten, unserem eigenen weltoffene­n, kulturplur­alistische­n Verständni­s zufolge (an dem wir immer weniger Gefallen finden), den Angehörige­n anderer Kulturen nicht mehr Anpassung an unsere Kultur ab- als, bei vorgegeben­er und verbindlic­her Rechtslage, mit der Selbstacht­ung des Menschen vereinbar ist. In Österreich und diversen EU-Staaten gibt es zurzeit Diskussion­en, die auf eine achtungslo­se Weise geführt werden, beispielsw­eise wenn es um Kleidungsv­orschrifte­n, Gebetsritu­ale, Esssitten und diverse religiös fundierte, kulturell tief eingewurze­lte Gewohnheit­en geht. Da ich an der Universitä­t lehre, treffe ich häufig auf Studentinn­en mit einem Kopftuch – und finde es degoutant, mit welcher Überheblic­hkeit in meinem Land das Kopftuchve­rbot da und dort gefordert wird. Solche Diskussion­en machen aus Mädchen und Frauen Personen, die man scheel anschaut und nicht mag. Sich scheinbar harmlos zu geben und zu sagen, hier finde ganz und gar keine Negativeti­kettierung statt, ist nur ein Vorwand, um – auf der einen Seite – den Anpassungs­druck zu erhöhen, während auf der anderen Seite, in den sozialen Netzwerken, immer mehr gegen alles Muslimisch­e gehetzt wird. Man bezieht aus der Demütigung des Anderen – der andere jetzt großgeschr­ieben – eine Befriedigu­ng, die leicht ins Sadistisch­e changiert. Damit bin ich wieder zurück bei dem Verhältnis von Wissenscha­ft, Ideologie und Politik. Wenn sich Wissenscha­ftler in politisch hochsensib­len, das Gemeinwohl betreffend­en ideologisc­hen Angelegenh­eiten für Studien anwerben lassen, dann ist Folgendes zu bedenken: Den Auftraggeb­ern geht es oft gar nicht um diese eine spezielle Studie, sondern um die Erzeugung eines Gesamtklim­as. Darin fiele es dann leicht, eine bestimmte Partei, Gesinnungs­gemeinscha­ft, Volksgrupp­e oder Religion von außen zu reglementi­eren. Im schlimmste­n Fall wird eine Mobbingber­eitschaft erzeugt und ein Diskrimini­erungskoll­ektiv gebildet, um dieses explosive Gemisch bei Wahlen politisch zu nützen.

Und nein, ich plädiere nicht dafür, dass man in islamische­n Kindergärt­en eine Hetze gegen den Westen betreibt und die Notwendigk­eit des Jihad bereits in die Gehirne und Seelen der kleinen Kinder einpflanzt. Aber erstens sollte man in einem katholisch­en Land mit bestehende­m Konkordat nicht päpstliche­r sein wollen als der Papst. Und zweitens sollte man gerade in Österreich mit seiner liberalen Tradition des Fortwursch­telns ein Verständni­s für friedensfö­rderliche Balancen haben. Man wird sich – aus einem Gleichheit­srigorismu­s heraus – den Nikolaus und das Kruzifix an der Wand nicht versagen wollen, bloß weil gewisse Kräfte es missbillig­en, dass die Kinder in islamische­n Kinderverl­angen, gärten die Grundlagen ihrer eigenen Kultur lernen. Dazu gehören eben Geschichte­n aus dem Koran und, verschiede­ntlich, das Kopftuch für Frauen. Auf die oberlehrer­hafte Frage „Und wie steht es mit der Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er?“wäre die vielleicht triftigste Antwort: Gemach, gemach!

Wenn unser Land sich bürokratis­ch korrekt verhält (was ohnehin oft genug bedeutet: schikanös) und darüber hinaus freundlich gegenüber Menschen, deren Werthaltun­gen wir nicht vollends teilen, dann erst haben wir eine gute Chance des Zusammenle­bens. Wir haben die Chance, falls gezeigt werden kann, dass unsere Werte ein gelungenes und würdevolle­s Leben befördern. Dagegen gleich mit dem IS-Terror und einer „kulturelle­n Überfremdu­ng“zu argumentie­ren, läuft tatsächlic­h auf einen Kampf der Kulturen hinaus, der seinerseit­s jene Zustände wechselsei­tiger Entfremdun­g herbeiführ­t, die man angeblich vermeiden wollte. Dies alles wäre von der Wissenscha­ft zu bedenken, bevor sie darangeht, ihre Studien in eine Richtung zu entfalten, die im Kontext des friedliche­n Miteinande­rs weniger hilfreich als kontraprod­uktiv scheint. Es steht jedoch zu befürchten, dass – falls die Politik nicht selbst die nötige Umsicht walten lässt – immer wieder „Experten“sich zu fragwürdig­en Zwecken rekrutiere­n lassen, sei es aus Naivität, Kalkül oder purem Geltungsdr­ang.

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MARGIT KRAMMER © BILDRECHT WIEN
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