Pietätlosigkeit als Gegengift der Mortalität
über die Ausstellung „Körperwelten“und den Unternehmer Gunther von Hagens.
I n theatralischen Posen („Der Radfahrer“, „Der Herzchirurg“) spalten die Körperwelten des Gunther von Hagens, die gerade in Graz gezeigt werden, die Geister.
Gab es früher noch Anmeldeformulare, wenn man sich nach einem Ausstellungsrundgang selbst für die posthume Verwertbarkeit als Plastinat interessierte, besteht längst kein Bedarf an Freiwilligen.
Der deutsche Arzt, Anatom und Unternehmer Gunther von Hagens bedient mit seinen Ausstellungen die Klaviatur des Schaurig-Schönen seit vielen Jahren mit dem Unvermeidbaren: Er polarisiert erfolgreich mit der Endlichkeit des Daseins. In der Messehalle A in Graz fühlt man sich als Besucher gegenüber den geruchsneutralen anonymen Exponaten eher wie in einem Wachsfigurenkabinett. Es ist skurril, fast zynisch, wenn schmächtige Besucher sorglos vor durchtrainierten Verstorbenen mit Sonnenbrillen auf Fahrrädern und im Laufschritt stehen. Dass das einmal lebende Menschen waren, daran gemahnt fast nichts. Es sind jetzt Puppen, Kunstfiguren, und alle zeigen die Gesichtszüge ihres Meisters.
Im Spannungsfeld von anatomischer Lehrstunde und infamer Verniedlichung des Todes finden wir uns schwerlich zurecht. Der tiefenpsychologische Verdacht liegt nahe: Gunther von Hagens wehrt seine eigene panische Angst vor dem Tod ab, indem er sich selbst halbnackt auf dem Seziertisch fotografisch inszeniert, umgeben von über ihn gebeugten plastinierten Leichen, oder aber sich in einem anderen Fall in einer Fotomontage an ein Kruzifix heftet.
Was Gunther von Hagens’ Körperwelten nicht sind: ehrliche Fortbildungsmöglichkeiten für anatomisch Interessierte. D as würde seine exaltierte Inszenierung von Toten überflüssig machen. Was die Körperwelten sind: der bittersüße Versuch eines medizinisch ausgebildeten Unternehmers, die Unantastbarkeit des Todes satirisch aufzuweichen und seine Pietätlosigkeit als Gegengift der Mortalität zur Kunst zu machen.
„Dass das einmal lebende Menschen waren, daran gemahnt fast nichts. Es sind jetzt Puppen, Kunstfiguren.“