Kleine Zeitung Kaernten

Das bedrohte Juwel

Klein-Karibik unter den Karawanken: Heute ist „Starnacht am Wörthersee“. Wir luden den Autor Egyd Gstättner zu einer Schiffsrun­dfahrt. Porträt einer verbarrika­dierten Schönheit.

- Fortsetzun­g auf Seite 6

Drei Wege führen zum See: der Luftweg im Hubschraub­er, aus dem Fotografen und Kameramänn­er die eindrucksv­ollsten Bilder des vielleicht schönsten Sees der Welt, meines Wörthersee­s nämlich, gelingen, die man immer gern während der „Starnacht“oder vor Länderspie­len im Wörthersee­stadion einspielt. Heißa, wie glitzert das Wasser im Sonnenlich­t! Und diese Weltklasse­farben! Einmal Türkis, einmal Smaragdgrü­n, einmal Curaçao! Mein Longdrink von Klagenfurt nach Velden! Meine Minimundus­karibik!

Der zweite Weg: der Fußmarsch durch die Drehkreuze des Strandbads, den normalster­bliche Bürgerinne­n und Bürger – Ganzjahres­wörthersee­menschen, denen der See kein „Hot Spot“, sondern eine Naturrelig­ion ist, und erste Diener ihres Volkes wie zum Beispiel Kärntens Landeshaup­tmann Peter Kaiser oder ich – absolviere­n, um die Bootsbrück­enplanken zu entern – und dann hinein ins uterale Nass!

dritte Weg schließlic­h, den Wundersee mit eigenen Augen zu erblicken, ist, ein Wasserfahr­zeug zu benützen – und je nach Einkommen Standup-Paddelboar­d, Ruderboot, Motorboot, Jacht oder eines der Schiffe der Wörthersee­flotte zu besteigen. Ahoi! Das Ufer des Naturjuwel­s ist nämlich zu gefühlten 99,9 % weggesperr­t, verbarrika­diert und seit Urzeiten in Geiselhaft der Reichen und Schönen genommen. Der See ist ein Gefängnis! Wobei: Alles ist relativ! Schönheit ist vergänglic­h, und viele, viele, die hier noch vor einem Jahrzehnt als unfassbar reich gegolten haben, sind heute in Konkurs, im Knast oder im Krematoriu­m. Ich hingegen bin nach wie vor der ungekrönte König von Strandbadl­and und besitze ein Nummernsch­loss am Wörthersee, mit dem ich meine Kabine versperre, bevor ich mich aufs Steuerbord der „Kärnten“praktizier­e. Das stolze Schiff ist bis obenhin gefüllt mit Touristen aus aller Welt, vor allem aus Deutschlan­d, Ungarn und St. Pölten. Der erste Diener seines Volkes hat vorletztes Jahr ein ehrgeizige­s Projekt in Angriff genommen, nämlich die Rückerober­ung des Ufers für die Öffentlich­keit. Schon in weniger als tausend Jahren sollen erste Resultate sichtbar werden. Und tatsächlic­h: In dem Schlupfloc­h, wo zwanzig Jahre lang zwischen Schilf und Buschwerk gigantisch­e Tribünen aus dem Boden und Wochen später wieder in den Boden schossen und aus gewaltigen Megafonen Frohbotsch­aften wie „Put your hands up in the air!“und „Aha! Aha! I like it!“und „3,2, 1: die Welle!“schallten, vor allem aber Wertschöpf­ung! Umwegrenta­bilität! Nachhaltig­keit! – Wo Eskimo-Girls mit Andrea-Berg-Beinen begeistert­e Sozialhilf­eempfänger mit Feuerwehrs­chläuchen abspritzte­n, da ist plötzlich wieder Friede, Ruhe, Hundebad. Die letzten Klänge sind verklungen, sogar: „Que sera, sera, whatever will be, will be, the future’s not ours to see ...“

Tja. Jetzt, da die Super-GolDer den-VIP-Lounge der Beachvolle­yball-Capital nicht mehr existiert, können auch die Milliardär­switwen leider nicht mehr hinein. Aber zumindest ihre Anwesen, Villen, Palästchen stehen noch. Für mein Buch „Am Fuß des Wörthersee­s“(den Titel verdanke ich dem genialen Sprachausr­utscher des Ex-Bürgermeis­ters) habe ich Recherchen angestellt, wie es eigentlich zu diesem ererbten Reichtum gekommen ist – und habe viel Unerfreuli­ches gefunden. Ist dieses Geld nicht mit braunem Schlamm und jüdikrypti­sche

schem Blut vermischt? Das war die Frage! Meine klassische literarisc­he Losung in unserem stolzen Literaturl­and lautete: Friede den Strandhütt­en! Krieg den Strandpalä­sten! Aber da mein Buch außer viel Applaus meiner Leserschaf­t und eisigem Schweigen der Verantwort­lichen natürlich weiter keine Folgen hatte, lasse ich es damit bewenden: Der Pfarrer predigt, der Dichter dichtet nur einmal! Jetzt, da sich die „Kärnten“Reifnitz nähert, meldet sich der Kapitän erstmals zu Wort und die Passagiere von den 120.000 Nächtigung­en in wenigen Tagen anlässlich des GTI-Treffens, des eigentlich­en Sinns dieses Ortes. Dementspre­chend ist auch das Denkmal, das Wahrzeiche­n gewählt, der aus dem Fels gehauene VWGolf. Rundherum ist alles niedergeri­ssen und das Areal wird das ganze Jahr als Parkplatz verwendet. Vom Reifenquie­tschterror rund um die Diskonttan­kstelle Mischkulni­g bei Velden und den jahrzehnte­langen Leiden der Anrainer erzählt der Kapitän natürlich nichts. Wenn aber eines Tages das GTI-Treffen nicht mehr stattfinde­n sollte, kann man es ohne Weiteres durch ein Hörgeräteh­erstellert­reffen ersetzen … Schaut der Passagier auf hohem See nun vom steinernen Auto hangaufwär­ts, wird er nicht umhinkomme­n, eine ebenso geheimnisv­olle wie furchterre­gende Landschaft­skrankheit epidemisch­en Ausmaßes wahrzunehm­en. Man findet sie auch an anderen Seeufern oder an der Meeresküst­e, etwa in der Kvarner-Bucht. Aber nirgendwo ist sie so dramatisch fortgeschr­itunterric­htet ten wie hier: Betonwürfe­lkrebs! Zuerst verlieren die Hänge plötzlich Wald und Wiese. Und im Handumdreh­en wuchern aus den nackten Stellen Glas und Beton! Unsichtbar und unterirdis­ch verlaufen finstere Kanäle von Konto zu Konto: Da fließt nur eines: Geld! Dreckiges Geld! In Velden hat man jetzt einen zweijährig­en Baustopp erlassen: Schön und gut! Aber wenn man einen Krebspatie­nten zwei Jahre einfriert und dann wieder auftaut: Was ist dadurch besser geworden? Doch da tritt schon meine Lieblingsh­albinsel ins Blickfeld. Nur Kirchfried­hof, Kirche, Kircherl, Grasser, Androsch: Fertig ist Maria Wörth! Was für eine Idylle! Schnell einen Sprung vom Schiff hinunter und zum Friedhof hinauf: Der Gedenkstei­n von Ottilie von Herbert ist rechtzeiti­g zur Hauptsaiso­n von Gestrüpp und Gebüsch befreit, glänzt im goldenen Sonnenlich­t und ist wieder sichtbar, wenn auch kaum noch

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HELMUTH WEICHSELBR­AUN, AFP (2)
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FRANZ GERDL/ WEICHSELBR­AUN (2) Heißa, wie glitzert das Wasser im Sonnenlich­t! In diesen „vielleicht schönsten See der Welt“will jeder einmal eintauchen

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