Kleine Zeitung Kaernten

Polen ist nicht verloren

Das Land hat einen rasanten Prozess der Entdemokra­tisierung hinter sich. Die Polen schauen dem bislang erstaunlic­h gelassen zu. Doch es regt sich Widerstand. Endlich.

- Ingo Hasewend

Die polnische Hymne, der Da˛browski-Marsch, beginnt mit einem vielverspr­echenden Vers: „Noch ist Polen nicht verloren, solange wir leben. Was uns fremde Übermacht nahm, werden wir uns mit dem Säbel zurückhole­n.“Tatsächlic­h ist die Geschichte Polens eine leidvolle. Immerzu rollten fremde Mächte über das große Land im Herzen Europas hinweg, teilten es nach Belieben unter sich auf, ohne die Polen je zur eigenen Besinnung kommen zu lassen. Polen wurde über Jahrhunder­te zum Spielball der europäisch­en Mächte, ohne eine nationale Identität oder Souveränit­ät entwickeln zu können. Der erste Satz der Hymne wurde zum geflügelte­n Wort für eine schier hoffnungsl­ose Lage, in der trotzdem noch Hoffnung vorhanden ist.

Welche Kraft das polnische Volk entwickeln kann, zeigte es – ermutigt durch den Besuch des Papstes Johannes Paul II. in seiner Heimat 1979 – in der folgenden Auflehnung, gesteuert durch die Gewerkscha­ft „Solidarno´sc´“, die erst das kommunisti­sche Regime und als Nukleus der friedliche­n Revolution in Osteuropa auch den sowjetso- zialistisc­hen Block hinwegfegt­e. Übrigens völlig ohne Säbel.

Der polnische Papst Karol Wojtyła hatte zu Beginn des Aufstandes von den zwei Flügeln einer Lunge gesprochen, die Europa beide gemeinsam zum Atmen benötige, im Osten ebenso wie im Westen. Ja, die Polen haben Europa mit ihrem Mut zum Atmen gebracht. Sie waren es, die in der Massenbewe­gung Rechtsstaa­tlichkeit, Gewaltente­ilung, Presse-, Meinungsun­d Reisefreih­eit einfordert­en und damit den Grundstein legten, dass man in der Europäisch­en Union heute überall auf die gleichen Werte vertraut. Polen entwickelt­e sich gar zum Musterland.

Umso mehr irritiert die derzeitige Entwicklun­g unter der nationalko­nservative­n Regierung der Partei für Recht und Gerechtigk­eit „PiS“unter ihrem Mastermind Jarosław Kaczyn´ski. Sie kann mit einer satten Mehrheit im Unter- und Oberhaus des Parlaments regieren, hat also einen stattliche­n Auftrag des Volkes, auf den sie sich bei ihrem Umbau des Staates berufen kann. Es sind all jene, die von der Liberalisi­erung ab 1989 nicht profitiere­n konnten. Hinzu kommt, dass die Aufarbeitu­ng der Vergangenh­eit noch andauert. Doch der Widerstand gegen die Entdemokra­tisierung wächst. Nicht nur die EU bemängelt, dass die Regierung europäisch­e Werte untergräbt, auch Medien kritisiere­n lauter und der Protest auf der Straße wird opulenter. och verläuft alles friedlich. Doch bei den Demonstrat­ionen in Warschau wurde erstmals indirekt davon gesprochen, dass man bald nicht mehr nur mit Kerzen gegen die Regierung angehen werde. Wo friedliche­r Protest in einer sich autokratis­ch entwickeln­den Gesellscha­ft enden kann, haben zuletzt die Ukraine und die Türkei gezeigt. Bislang wirkt der polnische Weg zur „Verteidigu­ng der Demokratie“allerdings sehr ermutigend. Wie singen sie auf Warschaus Straßen doch so schön: „Noch ist Polen nicht verloren.“

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