Jahrelang wusste man um
die Fluchtbewegungen aus Afrika, doch Europa hat weggeschaut. Zu meinen, die Flüchtlingskrise ließe sich rasch vor der Wahl lösen, ist vermessen und weltfremd.
In einem Land, das mindestens drei Innenminister hat, ist es nicht leicht, über die dramatische Situation im Mittelmeer zu diskutieren. Im Wahlkampf beschränkt sich die Politik darauf, anderen Staaten Vorschläge zu machen, wie diese gefälligst aktuell nicht lösbare Probleme zu lösen hätten. Zur Erinnerung: Im letzten Wahlkampf lieferte Österreich seinen wichtigsten Beitrag zur Lösung des Syrienkrieges, indem unsere UNO-Soldaten über Nacht vom Golan abgezogen wurden.
Es wird nichts nützen, Ländern wie Libyen, die keinen Staat haben, zu sagen, was sie tun sollten, damit wir in Ruhe schlafen können. Und es ist niveaulos, jene Menschen, die anderen helfen, weil sie sich an bestehende Vereinbarungen halten (internationales Seerecht), zu bedrängen und ihnen die Schuld an unhaltbaren Zuständen zuzuschieben. Ein Hilfeverbot kann es nur in einer Diktatur geben. Würden die Hilfsorganisationen nichts mehr tun, wäre alles noch viel entsetzlicher.
Seit bald 15 Jahren wissen wir um die Fluchtbewegungen aus Afrika, bis vor Kurzem hat sich Europa nicht interessiert. Wir müssen uns endlich diesem gewaltigen Problem zuwenden. Es nützt nichts, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen. Max Weber hat Politik als jene Fähigkeit benannt, mit Augenmaß und Leidenschaft zugleich das starke, langsame Bohren dicker Bretter anzugehen.
Der Flucht- und Migrationsdruck aus dem Süden ist das Ergebnis von Krieg und völlig schiefgelaufener Globalisierung. Das Drama ist, dass die Armen wissen, wo die Reichen wohnen. Diese ungeheure Schieflage wird man entschärfen müssen, um das Schiffchen Welt aus der Schleuderzone bringen zu können.
In den letzten Monaten sind viele Vorschläge genannt worden: strukturierte Hilfe, damit Italien den Ansturm von Flüchtenden besser bewältigt (schnelle Registrierungsverfahren, Rückkehrhilfen), präzise Kontakte mit Ländern südlich der Sahelzone, der Ausgleich von Globalisierungsverlusten (faire Handelsbeziehungen, faires Schürfen von Rohstoffen).
Europas Institutionen, also die EU oder auch der Europarat, werden befugte Verantwortliche brauchen, die mit Nachdruck, mit Elan Initiativen an allen Ecken und Enden setzen, um die dramatischen Fragen zu entschärfen. Zu meinen, dies ließe sich rasch vor der Wahl lösen, halte ich für vermessen. Es wird Jahre dauern, bis Maßnahmen Wirkungen zeigen. Und in unserer unvollkommenen Welt wird es auch nach der Bewältigung dieser ansteckenden Globalisierungskrankheit neue Probleme zu lösen geben.