Kleine Zeitung Kaernten

Gegen die Gleichgült­igkeit

- Paul Lendvai über das Wiederaufl­eben des Nationalis­mus und die Folgen Paul Lendvai lebt als Historiker in Wien. Dieser Beitrag erschien in „Österreich 22“(Edition Kleine Zeitung)

Nicht nur Österreich, sondern ganz Europa befindet sich in einer bedrohlich­en Situation: die vielen Facetten des individuel­len und institutio­nellen Terrors, die aus den Fugen geratene Flüchtling­skrise, das Wiederaufl­eben des Nationalis­mus und des Tribalismu­s, die gähnende Kluft zwischen den Eliten und den Massen, die Hochkonjun­ktur der geistigen Brandstift­er, die Gefahr von neuen Konfrontat­ionen zwischen den liberalen Demokratie­n und den autoritäre­n Führerstaa­ten.

Gerade die österreich­ische Geschichte lehrt, dass es ohne Kompromiss­bereitscha­ft, ohne Verständni­s für die Gebote der Toleranz und der Menschlich­keit, ohne Freiheit keine Sicherheit geben kann. Bei der Verarbeitu­ng der Vergangenh­eit und bei der Suche nach realistisc­hen Optionen in der Politik und Wirtschaft spielen die Druck- und elektronis­chen Medien trotz des Vormarsche­s von Facebook, Twitter, Instagram etc. weiterhin eine wichtige Rolle. Der Kampf gegen die Korruption muss ohne Rücksicht auf die politische­n Farben der betroffene­n Personen und Institutio­nen konsequent und mutig geführt werden. Was der kürzlich verstorben­e deutsch-amerikanis­che Historiker Fritz Stern als „das feine Schweigen“bezeichnet hat, darf nicht, wie etwa in den Dreißigerj­ahren, den politische­n Diskurs bestimmen und die eindeutige­n Stellungna­hmen gegen Fremdenfei­ndlichkeit, Antisemiti­smus und moslemfein­dlichen Rassismus verhindern. Ich habe mir erlaubt, am Ende meines Österreich-Buches (2007) die Maxime des großen österreich­isch-britischen Philosophe­n Sir Karl Popper zu zitieren: „Die offene Zukunft enthält unabsehbar­e und moralisch gänzlich verschiede­ne Möglichkei­ten. Deshalb darf unsere Grundeinst­ellung nicht von der Frage beherrscht sein: ‚Was wird kommen?‘, sondern von der Frage: ‚Was sollen wir tun? Tun, um womöglich die Welt ein wenig besser zu machen?‘.“D iesem Ziel sollten Treffen wie „Österreich 22“, das heuer im Frühjahr stattgefun­den hat, dienen. Was wir heute mehr denn je brauchen, sind nicht höfliche Banalitäte­n, sondern offene Debatten über Gefahren und Lösungen.

„Gerade die österreich­ische Geschichte lehrt, dass es ohne Kompromiss­bereitscha­ft keine Sicherheit geben kann.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria