Götterdämmerung
Der Autostaat im Staate Deutschland gerät ins Wanken. Dem Machtkartell der Autobauer dienten über Jahrzehnte auch Politik, Behörden, Medien.
In Bayreuth zelebriert man mit großem Hofstaat gerade wieder das jährliche Hochfest deutscher Tugenden und Sündenfälle als Kulturanspruch an sich selbst und die Welt. Die Festspiele mit den Operndramen Richard Wagners stellen das Ringen zwischen edler Lauterkeit und abgründigster Selbstermächtigung auf der Suche nach dem Gral auf die Bühne. In diesen Tagen erscheint das Kunstmonument wie ein Musikepos auf Deutschlands industriellem Nibelungen-Komplex: die Automobilindustrie.
Zwischen den teutonischen Festungen von Wolfsburg bis München und Stuttgart scheinen Grenzen zwischen Wettbewerb und Verschwörung wie verschwommen. Kein Rheingold mehr lässt Glanz erahnen. Stattdessen lassen Kartellvorwürfe nichts Heldenhaftes mehr an VW, Daimler, BMW – Heroen einst. Das Getöse um schwerwiegende Vorwürfe von Absprachen über Jahre klingt wie die Ouvertüre zur Götterdämmerung der übermächtigen Autobauer. Nach dem Stunk um Dieselgate steht, bildlich gesprochen, das deutsche Industrie-Walhall im Flammen.
Der kolportierte Vorhalt, an die 200 Mitarbeiter der Konzerne hätten in organisierten Zirkeln Entwicklungen und Preise, Technik und Zulieferkosten seit den 1990er-Jahren abgesprochen, klingt fast naiv. Viel grundsätzlicher geht es um den Überbau eines Autostaates im deutschen Staat, der jetzt ins Wanken gerät. Lange baute sich dieser Staat auch die legistische Karosserie für seine Serienproduktionen und Milliardengewinne. Bei Normen und Grenzwerten spielten auf höchsten Ebenen Politik und Behörden mit. Denn schließlich ging es um das wirtschaftliche Kernstück des deutschen Exportwunders, um Arbeitsplätze und Wertschöpfung. Ja mehr noch, um nationale Identität höchster Technik und soliden Handwerks: Ein deutsches Qualitätsauto fährt und fährt – notfalls auch mit einem per Zusatzsoftware gesofteten Abgaswert.
Man muss sich keine Illusionen darüber machen, worüber sich die Manager der Konzerne am Rande der Salons von Genf bis Frankfurt unterhalten. Und bei Treffen mit der Kanzlerin wird man auch weniger über Teesorten als über Strategie gesprochen haben. Von einem Commitment der Automobilhersteller auf Vorstandsebene für eine Clean-Diesel-Strategie wird berichtet. Eine Richtung übrigens, bei der auch Medien das Stickoxid zu gering hinterfragten, man denke an die IGLuft-Tempolimits bei anhaltender Dieselförderung auch bei uns – so viel zur Selbstanklage.
Reumütige Selbstanzeigen deutscher Automobilhersteller können in Klagsfluten ungeahnten Ausmaßes münden, in denen Konsumenten überhöhte Fahrzeugpreise vergolten erhalten wollen. Im Vergleich dazu könnten sich drohende EU-Kartellstrafen – zweistellige Milliardenbußen stehen spekulativ im Raum – noch als relativ günstig erweisen. Noch mehr aber droht Vertrauensverlust. Der Massenumstieg vom Diesel zum Benzin-Pkw läuft schon. Die Eund Hybrid-Konkurrenz aus USA und Asien stehen bereit.