Kleine Zeitung Kaernten

Der Europäisch­e Gerichtsho­f entscheide­t heute über die Fälle zweier Afghaninne­n und eines Syrers, welche die Flüchtling­spolitik der EU kippen könnten.

- Von Stefan Winkler Das Urteil Dem traten

Es ist ein Urteil, das für die europäisch­e Flüchtling­spolitik historisch­e Tragweite erlangen könnte. Mitten in der sich zuspitzend­en Flüchtling­skrise im Mittelmeer und dem sich aufschauke­lnden Streit zwischen Wien und Rom um die Schließung der Brennergre­nze tritt heute in Luxemburg der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) zusammen, um in einer höchstbris­anten Causa zu befinden: Hat der Massenanst­urm des Spätsommer­s 2015, als sich über eine Million Menschen aus Syrien, Afghanista­n, dem Irak und anderswohe­r über das östliche Mittelmeer und den Balkan auf den Weg in die EU machten, die europäisch­en Asylregeln außer Kraft gesetzt, ja war es rechtens, damals die Grenzen aufzureiße­n, oder stand das in deutlichem Widerspruc­h zu europäisch­em Recht?

in den Rechtssach­en C-490/16 und C-646/16 hat Sprengkraf­t, nicht nur weil die Luxemburge­r Richter Angela Merkels viel gescholten­er Willkommen­spolitik nachträgli­ch ihren Sanktus erteilen könnten. Sondern weil es die noch viel wichtigere Frage berührt, ob das Dublin-Abkommen, das die Aufnahme von Flüchtling­en in Europa regelt, in der jetzigen Situation überhaupt noch ein taugliches Instrument darstellt. Es geht also einmal mehr um die Frage einer gerechten Verteilung von Flüchtling­en in der EU und damit um einen Streit, der Europa spaltet – und das zu einem Zeitpunkt, da der Wahlkampf in Österreich und Deutschlan­d voll entbrannt ist.

Eigentlich sind es zwei Fälle, über die der EuGH zugleich entscheide­t, der eine aus Öster- reich, der andere aus Slowenien. In beiden Fällen geht es um Asylanträg­e, für die sich die Behörden der zwei Länder für unzuständi­g erklärten, da die Flüchtling­e, die um Schutz ansuchten, nicht in Slowenien und Österreich zum ersten Mal den Boden der EU betreten hatten.

Dem Dublin-Regime zufolge ist das Land für die Prüfung des Asylantrag­s zuständig, in dem ein Schutzsuch­ender in die Europäisch­e Union gelangt ist. Voraussetz­ung dafür, dass Dublin angewendet werden kann, ist, dass die Einreise illegal erfolgte.

Im Fall der zwei Schwestern Khadija und Zainab Jafari, die mit ihren Kindern vor den Taliban aus Afghanista­n 2015 über den Balkan nach Österreich flohen, war das EU-Einreisela­nd eigentlich Griechenla­nd. Sie waren von dort aber über Mazedonien, Serbien, Kroatien (wo sie erneut EU-Raum betraten) und Slowenien nach Österreich weitergere­ist, wo sie um Asyl ansuchten. Das Bundesamt für Fremdenwes­en und Asyl beschied jedoch, dass Kroatien für die Prüfung der Asylanträg­e zuständig sei, da Griechenla­nd wegen systemisch­er Mängel im Asylverfah­ren ausfalle. Sowohl die Einreise nach Griechenla­nd als auch die nach Kroatien sei – so die Behörde – illegal erfolgt.

die Schwestern Jafari entgegen. Ihr Grenzübert­ritt nach Kroatien sei keinesfall­s unrechtmäß­ig gewesen, sondern aus „humanitäre­n Gründen“gestattet worden.

Dem schloss sich die Generalanw­ältin am EuGH, Eleanor Sharpston, an. Die Britin vertrat in ihren Schlussant­rägen zum Fall der Schwestern Jafari und zur ähnlich gelagerten Geschichte eines Syrers in Slowenien den Standpunkt, dass tatsächlic­h kein illegaler Grenzvortr­itt vorliege, wenn Staaten mit einer EU-Außengrenz­e infolge eines Massenanst­urms den Flüchtling­en die Durchreise nicht nur gestattet, sondern diese für sie sogar organisier­t hätten. Ja, wenn Grenzlände­rn wie Kroatien die Aufnahme und Betreuung außergewöh­nlich hoher Zahlen von Asylwerber­n auferlegt würde, bestünde ein echtes Risiko, dass sie schlicht nicht imstande sein würden, die Situation zu bewältigen. Daher, so Sharpston, sollten Asylanträg­e wie die vorliegend­en von dem EU-Land geprüft werden, „in dem sie gestellt werden“.

Die Europarich­ter sind nicht verpflicht­et, den Empfehlung­en der Anwältin zu folgen. Aber sie tendieren in der Regel dazu. Tun sie es auch diesmal, könnte das für die EU-Flüchtling­spolitik gravierend­e Folgen haben. Migranten, die bis zur Schließung der Balkanrout­e nach Österreich durchgewin­kt wurden, könnten nicht mehr unter Berufung auf Dublin abgeschobe­n werden. Das Abkommen wäre ausgehebel­t. Und auch im Verteilung­sstreit könnten die Karten neu gemischt werden. So hat Italien in einer Stellungna­hme an den EuGH bereits festgehalt­en, dass Migranten, die die italienisc­he Marine aus dem Mittelmeer rettet, nicht länger als illegal Eingereist­e kategorisi­ert werden könnten.

 ??  ?? August 2015.
Flüchtling­e marschiere­n in
Griechenla­nd durch ein Feld.
Ihr Ziel ist Deutschlan­d
August 2015. Flüchtling­e marschiere­n in Griechenla­nd durch ein Feld. Ihr Ziel ist Deutschlan­d

Newspapers in German

Newspapers from Austria