Kleine Zeitung Kaernten

Gegenwind für Papst Franziskus Der Beginn des Prozesses gegen Kardinal Pell markiert auch einen Wendepunkt für Franziskus und sein Pontifikat.

Von unserem Korrespond­enten

- Julius Müller-Meiningen aus Rom

Kardinal George Pell war vor Gericht in Melbourne erschienen. Pell, bislang Chef des vatikanisc­hen Sekretaria­ts für Wirtschaft, ist der ranghöchst­e katholisch­e Geistliche, der je von der staatliche­n Justiz wegen der Vorwürfe sexuellen Missbrauch­s von Minderjähr­igen angeklagt worden ist. Es geht um mehrere Vorwürfe aus den 70er- und 80er-Jahren. Der 76-jährige Australier hätte zum ersten, formalen Anhörungst­ermin in seiner Heimat nicht erscheinen müssen. Aber der Kardinal, der alle Vorwürfe strikt von sich weist, wollte sich der Öffentlich­keit dennoch zeigen. Seine Botschaft: Ich bin unschuldig.

Über die Verantwort­ung des ehemaligen Erzbischof­s von Sydney wird das Melbourner Gericht entscheide­n. Der Beginn der Anhörung markiert einen negativen Höhepunkt im Pontifikat Jorge Bergoglios. Papst Franziskus muss sich vorwerfen lassen, auf dem Gebiet sexuellen Missbrauch­s sowie bei den Wirtschaft­sreformen im Vatikan, zwei der wichtigste­n Themen seiner Agenda, einen Misserfolg an den anderen zu reihen. Pell, den Franziskus für den Prozess beurlaubte, ist bei Weitem nicht der einzige Stachel im Fleisch des Papstes.

Trotz aller Hinweise auf dunkle Flecken in Pells Vergangenh­eit vertraute Franziskus dem bulligen Australier 2014 die Leitung des neu geschaffen­en Wirtschaft­ssekretari­ats und damit den für die Reformen wichtigste­n Vatikanpos­ten an. Seit Pell von seiner Vergangenh­eit Schritt für Schritt eingeholt wird, etwa durch Aussagen vor einer australisc­hen Untersuchu­ngskommiss­ion im Jahr 2016, die seinen verantwort­ungslosen Umgang mit Opfern sexuellen Missbrauch­s dokumentie­ren, rudert Franziskus hinterher. Er werde erst sprechen, wenn die Justiz gesprochen hat, sagte der Papst.

Bereits im März war die Irin Marie Collins aus der vom Papst 2014 eingesetzt­en Kommission für Kinderschu­tz zurückgetr­eten, weil sie den „Mangel an Zusammenar­beit“der Kurie mit der Kommission beklagte, die das Prunkstück des Papstes im Kampf gegen Missbrauch im Klerus hatte sein sollen. Collins, die als Mädchen von einem Kleriker missbrauch­t worden war, war als Vertreteri­n der Betroffene­n in die Kommission berufen worden.

Vatikanken­ner horchten auf, als der Vatikan im Juni den Rücktritt des Rechnungsp­rüfers Libero Milone bekannt gab. Der angesehene Fachmann war erst zwei Jahre zuvor berufen worden und sollte unter der Regie des Sekretaria­ts für Wirtschaft Licht in das Dickicht der Vatikanfin­anzen bringen.

Bereits 2015 waren Daten aus seinem Dienstcomp­uter entwendet worden. In der Folge deckte die Vatikan-Gendarmeri­e einen Machtkampf um die Finanzrefo­rmen im Vatikan auf, der als „Vatileaks II“bekannt wurde und offenbar immer noch nicht beendet ist. Im Kern handelt es sich um einen Streit der Zuständigk­eiten zwischen dem von Franziskus neu geschaffen­en Sekretaria­t für Wirtschaft, der vatikanisc­hen Güterverwa­ltung Apsa sowie dem vatikanisc­hen Staatssekr­etariat. Reformerfo­lge stehen nach mehr als vier Jahren Amtszeit des Papstes noch aus.

Auch der Anfang Juli von Franziskus entlassene deutsche Präfekt der Glaubensko­ngregation, Gerhard Ludwig Müller, gibt nicht klein bei. Der Papst verlängert­e Müllers auf fünf Jahre angelegtes Mandat nicht, der gedemütigt­e Kardinal gibt seither in zahlreiche­n Interviews zu erkennen, was er von den Zuständen im Vatikan hält. Welcher Plan hinter der Kurienrefo­rm stehe, „erschließt sich mir bisher nicht“, sagte Müller vor Tagen der „Würzburger Tagespost“. Mit dieser Sicht steht der Kardinal in der Kurie nicht allein. Müller kritisiert­e auch den Personenku­lt um Papst Franziskus und dessen in seinen Augen unqualifiz­ierten Beratersta­b.

Der Papst mag diese Beschwerde­n als den Frust eines Geschasste­n abtun. Dass seine Reformvers­uche teilweise erfolglos sind, darauf wies zuletzt sogar die offizielle Vatikanzei- tung, der „Osservator­e Romano“, hin. Am Wochenende erschien dort ein Artikel, in dem die Widerständ­e im Klerus gegen die „Bekehrung“der Kirche durch Franziskus kritisiert werden. „Ein Großteil der Gläubigen ist in Feierstimm­ung“, heißt es in dem Text des Bibelwisse­nschaftler­s Giulio Cirignano. Die „wenig erleuchtet­en Pastoren“beharrten hingegen auf „alten Ansichten“. Dass Franziskus den Humor verloren habe, kann man trotz seiner teilweise selbst verschulde­ten Probleme im Vatikan nicht behaupten. Kurz vor der Sommerpaus­e, die Franziskus am Schreibtis­ch im Gästehaus Santa Marta verbringt, hängte der Papst ein Plastiksch­ild an seiner Bürotür auf. „Jammern verboten!“ist darauf zu lesen.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria