Richard Wagners Nürnberger Prozess
Barrie Kosky versucht in Bayreuth, die politische Wirkungsgeschichte von Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“zu exorzieren. Mit wechselndem Erfolg.
Seit Jahren arbeiten sich Regisseure an Richard Wagners „Meistersingern“ab. Schwer wiegt der politische Gebrauch, den die Nationalsozialisten von dem Werk machten. Barrie Kosky fügt dieser Traditionslinie nun in Bayreuth einen weiteren Versuch der Entgiftung an.
Der Australier, der seit 2012 die Komische Oper Berlin leitet, verlegt seine Inszenierung in jenen Nürnberger Verhandlungssaal, in dem die Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher des NS-Regimes stattfanden. Der Angeklagte, so wird sich am Ende des ersten Aktes zeigen, ist Richard Wagner, sein Verteidiger auch. Aber zuvor wird’s familiär.
Der Vorhang hebt sich und gibt den Blick ins überladene Wohnzimmer in Wagners Bayreuther Haus Wahnfried frei. Straff und transparent serviert Philippe Jordan das Vorspiel zu einem köstlichen Kammerspiel auf der Bühne. Im Sommer 1875, verrät eine Projektion, empfängt der Meister Geschenke und Besuche aus aller Welt. Schwiegervater Franz Liszt schaut vorbei, Frau Cosima, Liszts Tochter, huscht migränegeplagt durch den Raum. Hermann Levi, der jüdische Dirigent und Wagner-Verehrer, sitzt verängstigt mit Partitur neben dem Hausherrn. Wagner ist gesonnen, seine „Meistersinger“Auserwählten vorzuspielen.
Wagner liebte solche Darbietungen, Gelegenheiten zur Selbstdarstellung. Liszt muss den Pogner geben, Evas Vater, der geplagte Levi den Beckmesheben ser. Die übrigen Figuren entsteigen in Klaus Bruns’ prächtigen Kostümen dem Klavier. Den Sachs mimt der Hausherr selbst. So muss also Michael Volle, der stimmlich wie darstellerisch fulminante Held des Abends, zu seiner Riesenrolle noch den Pantomimen geben, was er mit sichtlicher Lust tut.
„Ich bin verklagt und muss bestehn“, singt Sachs gegen Ende der Oper. Den Satz, in vergleichsweise harmlosem Zusammenhang gesungen, nimmt Kosky als Leitmotiv der ganzen Inszenierung. Kaum neigt sich der erste Akt dem Ende zu, weicht das Wohnzimmer (Bühne Rebecca Ringst) zurück und gibt den kahlen Gerichtssaal frei. Aus dem Boden wächst ein Rednerpult, Wagner tritt zögernd hinzu. Vorhang.
Es wird schwer, die Fallhöhe und Dichte dieses ersten Akts zu halten. Im leeren Gerichtssaal liegt nun Rasen. Vor der Prügelszene – bei Kosky ein Pogrom – heben Seile die Rasenteile wie Gehenkte in den Schnürboden. Aus dem Pult bläht sich ein bühnenfüllender Ballon mit einer bösartigen Judenkarikatur im Stil des NS-Hetzblatts „Der Stürmer“. Drunter sitzt klein Beckmesser mit derselben Maske auf dem Kopf. Der Hass auf den Außenseiter, ins Riesenhafte gebläht, zeigt mörderische Wirkung. Das ist beklemmend und hebt die harmlose Schlägerei in eine historische Dimension, die sie bei Wagner nicht hat. Noch nicht.
Im dritten Akt sitzt Sachs im voll bestuhlten Gerichtssaal. Das Mobiliar ist mehr im Weg, als dass es zur Erkenntnis beitrüge. Vor dem Schlussmonolog, der Hymne auf die deutsche Kunst, sich die Wände, Volk und Bänke weichen einem stummen Symphonieorchester vor dem echten, unmaskierten Chor. Wagners abgeschminkte Kunst tritt rettend für den Angeklagten ein. Seine Überschätzung der Möglichkeiten von Kunst im Allgemeinen und seiner im Besonderen kehrt bei Kosky wieder. Was so köstlich begann, endet in Überhebung.
Wie Charakterdarsteller Johannes Martin Kränzle die Doppelfigur des Dirigenten Levi und des Außenseiters Beckmesser mimt und singt, ohne je zur Karikatur zu werden, ist die zweite große Meisterleistung des Abends. Anne Schwanewilms bleibt als Eva/Cosima stimmlich und darstellerisch blass. Viel Jubel für Daniel Behle als David. Klaus-Florian Vogt, der hier vor zehn Jahren als Walther debütiert hatte, plagt sich mittlerweile mit der Rolle. Philippe Jordan arbeitet aus der Partitur zarteste Feinheiten heraus und verzichtet auf bombastische Klangfülle, was manchem Zuhörer offenbar missfiel. Den großen Gesamterfolg trübten auch vereinzelte Buhs nicht.