Die Macht des Rudels
Hüte dich vor dem Rausch der Herde und bewahre Nüchternheit und Verstand! Was für die Bürger und die Politik gilt, gilt auch für die Medien. Auch sie sind gefährdet.
Mit der Klarheit und Stringenz eines Juristen legte der deutsche Autor Ferdinand von Schirach in seiner Salzburger Festrede dar, was geschehen kann, wenn der Einzelne von seinem skeptischen, durch Erziehung und Gewissensbildung gereiften Urteil abrückt und sich dem Willen und ungezügelten Trieb des Volkes, dessen Zorn und Ekstase unterwirft. Es kann im Glücksfall etwas Erhebendes sein, es kann aber auch, wie die Geschichte lehrt, alles verloren sein, „was wir sind“. Masse und Macht, das hat sich selten als glückhaftes Paar erwiesen, schon gar nicht in Zeiten anonymer digitaler Schwärme. Sie sind nicht immer akkumulierte Intelligenz. Besser ist, wenn sich das Volk vor sich selbst und seinem absoluten Willen schützt, wenn ihm ein Karabiner zur Hand gegeben wird, sei es durch die Teilung der Gewalten oder die kühlende Vertreterschaft eines Parlaments.
Hüte dich vor der Herde, die Mahnung ließe sich auch auf die Medien übertragen. Auch sie folgen gerne dem Rudeljournalismus, dem Sog der publizistischen Herde. Auch sie verlassen gerne den Pfad des nüchternen Urteils und fügen sich einem verinnerlichten normativen Druck. Er erstickt die freie Vielfalt des Diskursiven und setzt das Diktat der veröffentlichten Meinung an ihre Stelle. Sein autoritärer pädagogischer Impetus grenzt Andersdenkende aus. Er treibt sie ins Verstummen oder in die Komplizenschaft mit dem Radikalen.
Genau das ist in der Berichterstattung zur Flüchtlingskrise vielfach geschehen. Eine wachsende Zahl von Lesern spürte nach eigenen Aussagen, dass das, was sie wahrnahmen, mit dem, was in den Medien vermittelt wurde, nicht übereinstimmte. Das reichte von Beobachtungen an der Grenze, am Arbeitsplatz oder in Schulen bis zu Beteuerungen im Zusammenhang mit Rückführungen oder Statistiken. Die Leute misstrauten ihnen mehr, als die Medien es taten. Das nährte das Misstrauen. Es griff von den politischen Eli- ten auf die Berichtenden über. Verschwörerische Vorstellungen eines Schweigekartells wucherten. An der Entfremdung leiden die Medien bis heute.
Der deutsche Medienwissenschaftler Michael Haller hat jetzt den Bruch in einer Studie aufgearbeitet. 30.000 Berichte deutscher Zeitungen liegen dem Befund zugrunde. Die Essenz: Die Medien hätten ihre Rolle als nüchtern aufklärende Instanz geopfert, mit den Regierenden einen Chor gebildet und das Lied der Willkommenskultur angestimmt. Es überhöhte die, die kamen, und sah in ihnen das Beste. Der Journalismus spielte Volkserzieher. Die Medien wurden zur Herde. itzen wir im Glashaus? Wir haben keinen Anlass zur Selbstgefälligkeit, aber wir halten uns zugute, dass wir uns früh für eine Begrenzung, für einen pragmatischen, abgekühlten Humanismus ausgesprochen haben, einen, der nicht schönt, sondern hinschaut. Das ist unsere Selbstwahrnehmung. Relevant ist jedoch Ihre Wahrnehmung. Schreiben Sie uns! Wir wollen überprüfbar sein in dem, was wir über uns denken.
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