Kleine Zeitung Kaernten

Nackte Tatsachen

Dichterfür­st und profunder Kenner der bildenden Künste, über Valie Exports Gabe, das Ungesehene oft auf schonungsl­ose Art sichtbar zu machen. ESSAY. Gerhard Roth,

-

Dist nur kann. Stummheita­ber sondern Einsamkeit.ein nicht Gleichzeit­igas erste, eines Menschals als damit gezielteKu­nst Fragmentwa­s von Menschen,Es ist einsamichi­st verbunden,VALIE empfinde,Stille beim Aussage,die eines Einsamkeit­sein und EXPORTs wieBetrach­ten Selbstgesp­rächs,Selbstverr­atetwas hat gänzlich Selbstmörd­erisches,in ihrer führt. Desillusio­niertes, Existenzia­litätDie das Einsamkeit zumetwas woraus macht sich Diesesdie Provokatio­nen Kunstwerke Selbstmörd­erische entwickeln.von VALIE Die EXPORTzur Schau so gestellten authentisc­h. Objekte sind Nacktenmit Tatsachen Tatsachen.verbunden: Ich sehe allerdings etwas ganz Anderes darin, als das, was man gemeinhin darunter versteht, denn eine nackte Tatsache ist für mich auch ein Traum, ist ein Pollen, ein Samen, ein Filmriss, ein zerstörtes Kinderbett, ein ausgeschal­teter Fernsehapp­arat, eine tote Heuschreck­e, Staub, ein Kalaschnik­owSturmgew­ehr, ein Swimmingpo­ol ohne Wasser, verlorenes Spielzeug, gefundenes Geld, eine brennende Kamera. Nackte Tatsache sind das Schweigen, die Antwortlos­igkeit, das Sprechen und das Lachen.

Gibt es etwas«, fragt VALIE EXPORT handschrif­tlich auf einer Installati­on, »das nicht durch ein Bild/Zeichen dargestell­t werden

kann?« – Die Frage hat die Lästigkeit und Ausdauer eines Ohrwurms. Nachdem ich den Satz, der auf ein Brett geschriebe­n war, das am Fußboden lag, gelesen hatte, hörte ich in meinem Kopf eine Gedankenst­imme, die von da an pausenlos die Frage wiederholt­e: »Gibt es etwas, das nicht durch ein Bild/ Zeichen dargestell­t werden kann?« Würde ich mich damals nicht gegen die Stimme gewehrt haben – bin ich überzeugt – würde sie mich auch heute noch in einem fort und immer mit derselben Frage verhören: »Gibt es etwas, das nicht durch ein Bild/Zeichen dargestell­t werden kann?«

Erst Antwort durch »NEIN«meine stummegela­ng es mir, sie zum Schweigen zu bringen. Dabei glaube ich fest daran, dass ich mit »JA« hätte antworten müssen, aufgrund von inneren Erfahrunge­n, die jeder für sich behält, weil man sonst für verrückt gehalten würde – doch nichts hielt den weiteren kausalen Fragestell­ungen stand. Der Satz ist vielleicht einem Selbstgesp­räch der Künstlerin entnommen. Es ist eine drängende Frage, die sich in einem Echoraum der Stille, des Nichts, unhörbar und

Ende weiter, weiter und weiter reproduzie­rt.

Ich Werke, stoßein Entwürfe meinem Skizzen,auf Dokumente,Kopf,und Zeichnunge­n,rekonstrui­ere woher die könnten. Gedanken-PartikelDi­e Dokumente kommen sind, stelle ich fest, Fahrkarten zu Tatorten des Innenleben­s ... Die Reise dorthin führt vorbei am Friedhof der unausgespr­ochenen Gedanken, in den man während der Fahrt durch ein Fenster blickt, und schließlic­h zu einem unbekannte­n Flugplatz und einem auf der Startbahn wartenden Doppeldeck­er, von dem aus man hoch über der Erde mit einem Fallschirm in die Tiefe springt, in VALIE EXPORTs Kontinent, den sie selbst erforscht, ohne die Umwelt aus den Augen zu verlieren: Die eigenen Ängste, die eigenen Verheimlic­hungen, die eigene Wut, die eigene Einsamkeit, die uns umgebende Lieblo- sigkeit und zugleich die grenzenlos­e Gleichgült­igkeit. Es stapeln sich die Eisblöcke der Konvention­en in den kühlen, dunklen Höhlen der überliefer­ten Moral, doch auch unter den Bäumen des Alltags herrscht, wenn sie Schatten werfen, Polarkälte, wie auf dem gefrorenen Wasser in den Flüssen der Gespräche. Hornissens­chwärme verabreich­en ohne Pausen das schmerzend­e Gift aus hasserfüll­ten Wörtern. Dann verstehen wir plötzlich: Es ist nicht nur VALIE EXPORTs Kontinent, in dem wir uns befinden, sondern unsere eigene Welt, die wir bisher ausgeblend­et haben. Die Künstlerin hat das Ungesehene, Unbeachtet­e in und um uns sichtbar gemacht. Alles, was um VALIE EXPORTs und um unsere eigenen Welt geschieht, ereignet sich beiläufig. Mit selbstmörd­erischem Mut macht sie diese Gleichgült­igkeit sichtbar. Denn das Furchtbars­ohne

te, von gleichgült­ige Schrecklic­hsteuns ereignet Weise, sich dass außerhalba­uf es als so Normalität wahrgenomm­en wird. VALIE EXPORT gelingt es in ihren Kunstwerke­n, diese Normalität, die uns beherrscht, zu irritieren – und wie immer ist zuerst Abwehr die gesellscha­ftliche Folge.

Aber die gesellscha­ftliche alles der geschieht,Abwehrnich­t Gleichgült­igkeit,gegen sondernric­htetdie Normalität­mit gegen sich der die macht. Künstlerin, Nackte die Tatsachens­ie sichtbar beantworte­t sie mit Kunstforme­n, die Fragen aufwerfen, Unwissen mit nackten Tatsachen. Sie macht die Gleichgült­igkeit sichtbar, indem sie diese selbst darstellt und in Szene setzt – mit ihrem Körper, ihrem Verstand und ihrer Kunst. Diese beruht auf der unbemerkte­n oder verschwieg­enen Alltäglich­keit. Durch ihre Arbeiten wird die Alltäglich­keit zum Rätsel und das Rätsel schließlic­h zum Zerrspiege­l, in dem wir uns selbst erkennen, wenn wir nur genau hinsehen. Wir betrachten uns in Konvex- und Konkavspie­geln wie fremde Wesen – als zerdehnten Kürbis, in die Länge gezogenen Blumenstie­l, als Schneckenw­esen.

VALIE Wirklichke­itaus EXPORTder wie Tube lässt Zahnpastaz­umdie Vorschein kommen. Sie belegt diese Wirklichke­it mit archivaris­cher Akribie, sie zeigt die Ideologie des gewohnten Denkens auf, die Ich-Ideologie, die uns selbst nicht bewusst ist, und gleichzeit­ig – wie auf einem unendliche­n Möbiusband – das Rätsel des eigenen Ich.

 ??  ?? Autor des Essays: Gerhard Roth
MARIJA KANIZAJ
Autor des Essays: Gerhard Roth MARIJA KANIZAJ
 ??  ?? „Sie macht die Gleichgült­igkeit sichtbar“: Valie Export, Selbstport­rät
„Sie macht die Gleichgült­igkeit sichtbar“: Valie Export, Selbstport­rät

Newspapers in German

Newspapers from Austria