Eine Sprache der verbrannten Erde
Wenn die Opposition zum Todfeind wird und das Parlament zum Werkzeug der Rache: eine Besichtigung der rhetorischen Schlachtfelder in Polen und wie es dazu kam.
Um die gegenwärtige Sprache unserer Politik zu verstehen, ist eine Bestandsaufnahme nötig. In den letzten fünfzehn Jahren wurde Polen von zwei im Jahr 2001 gegründeten Parteien dominiert: Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jarosław Kaczyn´ski und der Bürgerplattform (PO) von Donald Tusk. Beides sind rechte Parteien. Die PiS verfolgt eine extremere, nationalistische, religiöse und europaskeptische Linie, die PO ist eher gemäßigt, kosmopolitischer und pro EU eingestellt. Bei Fragen, die Wirtschaft oder Werte betreffen, ist der Unterschied jedoch nicht so groß, wie man aufgrund des gegenseitigen Hasses meinen könnte. Acht Jahre lang bis 2015 zog die neoliberale PO, der man nicht ohne Grund Passivität und Arroganz vorwarf, politisches Kapital daraus, die PiS als Schreckgespenst darzustellen. Hysterie, Übertreibung und Verschwörungstheorien setzte Tusk eine Warmwasser-aus-dem-HahnPolitik entgegen: Infrastrukturentwicklung mit Unterstützung EU, Bau von Autobahnen und Sportstätten. Die Bürgerplattform, bestehend aus einem progressiven Flügel (der gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften und In-vitro-Befruchtung befürwortet) und einem konservativen Flügel (der stark von der katholischen Kirche beeinflusst ist), vermied Wertedebatten um jeden Preis und überließ so anderen kampflos die Deutungshoheit, wenn es um die Gestalt der modernen Gesellschaft ging.
Die PiS machte mit dem angeblich durch die EU verschuldeten Sittenverfall Stimmung, mit „Gender und Eurosodom“, und warnte vor Flüchtlingen, die Terroristen, Schmarotzer und Überträger gefährlicher Krankheiten seien. Sie nutzte die Unzufriedenheit aus und übernahm nach den Wahlen die Macht – auch weil sie bei der Mandatsverteilung davon profitierte, dass viele Stimmen auf Parteien entfallen waren, die nicht ins Parlament einzogen: 37 Prozent der Stimmen brachten die Mehrheit der Sitze im Sejm, sodass die PiS allein regieren Z konnte. um Sprachwandel kam es bereits während der ersten Regierungsperiode der PiS, die den Krieg der Abstammung ausrief. Seit den Neunzigerjahren drehte sich alles um die „Entkommunisierung“und die 1997 begonnene „Lustration“, bei der festgestellt werden sollte, ob Politiker, Richter oder hohe Beamte geheime Mitarbeiter der kommunistischen Sicherheitsdienste gewesen waren. Gegner, die nicht mit dem Geheimdienst kollaboriert hatten, griff man anders an – entweder blieb man bei den Vorwürfen, egal was Archivmaterial oder Gerichtsurteile ergaben, oder man beschuldigte ihre echten oder erfundenen Vorfahren. Passend dazu verkündete der Abgeordnete Marek Suski, dass korrektes Verhalten der Vorfahren „genetischen Patriotismus“garantiere. Ein besonderer Fall war der Präsidentschaftswahlkampf 2005, als Jacek Kurski (damals Wahlkampfleiter der PiS, heute Chef des Propagandafernsehens) Tusk vorwarf, sein Großvater habe sich freiwillig zur Wehrmacht gemelder det. In Wirklichkeit wurde er als KZ-Insasse zum Eintritt gezwungen und lief später zu den Alliierten über. Dieser „Großvater in der Wehrmacht“war aber möglicherweise wahlentscheidend. I ch werde jetzt nicht den selbstverständlichen Sachverhalt besprechen, dass jeder nur für die eigenen Taten verantwortlich ist, nicht für die der Eltern oder Großeltern. Das Interessanteste bei all dem ist die Inkonsequenz. Die Kategorien Kommunist, Postkommunist, geheimer Mitarbeiter wurden völlig normal. Analog zu Karl Luegers „Wer ein Jud’ ist,
bestimme ich“, entschied und entscheidet die Partei, wer (genetischer) Kommunist ist. Der Sohn eines Kommunisten brachte es in der PiS-Regierung zum Vizepremier, der Sohn eines stalinistischen Justizverbrechers war Unterstaatssekretär im Justizministerium und verurteilte als Richter auch selbst Oppositionelle. Der Abgeordnete Stanisław Piotrowicz – einst Mitglied der kommunistischen Partei und während des Kriegsrechts Staatsanwalt, der auch in politischen Fällen Anklage erhob – ist heute führend bei der Abrechnung mit der unabhängigen Justiz im Namen der „Entkommunisierung“und ruft – Ironie des Schicksals (und gehörige Dreistigkeit) – seinen Gegnern, die zum Teil antikommunistische Oppositionelle waren, entgegen: „Nieder mit der Kommune!“
Die politische Szene in Polen ist starr – das Grundmodell besteht aus einem starken Führer an der Parteispitze, einem Alphamännchen mit starkem Ego, das aus Angst vor Machtverlust keine neuen Führungspersönlichkeiten heranwachsen lässt, weshalb die jüngere Generation farblos bleibt. Wie bei einem Provinztheater mit kleiner Besetzung bleiben die Akteure immer auf der Bühne, egal welchen Verlauf die Handlung N nimmt. ach jeder Erschütterung laufen Politiker von einer Partei zur anderen über; der, dem sie eben noch die schlimmsten Beleidigungen an den Kopf geworfen haben, ist jetzt ihr Verbündeter und umgekehrt. Der PiS-Verteidigungsminister Radosław Sikorski wurde in der PO-Regierung Außenminister, sein damaliger PO-Kollege, Justizminister Jarosław Gowin, ist heute Vizepremier in der PiS-Regierung. Die Rekordhalter haben bereits mehrere Parteien durchwandert. Es ist nicht erstaunlich, dass die Gesellschaft dieser „unsinkbaren“Gesichter müde ist und an der Ehrlichkeit ihrer Intentionen zweifelt. Auch verwundert es nicht, dass politische Manieren – oder eher ihr Fehlen – bei den meisten Angehörigen der politischen Klasse ähnlich ausgeprägt sind.
Sprachliche Brutalität erzeugt Gegenreaktionen. Zwar halte ich die These für völlig verfehlt, dass die verbale Aggression auf beiden Seiten gleich stark sei, aber die PiS ist auch nicht allein an allem schuld. Auf der Gegenseite fielen Aussagen, die absolut nicht zu entschuldigen sind, etwa Kaczyn´ski solle man „erschießen und ausweiden“; Kaczyn´ski benehme sich „wie ein kranker Mörder“(Janusz Palikot), „ich nenne den Pöbel beim Namen“(Władyław Bartoszewski), „schlachten wir die Bande“(Radosław Sikorski) und andere.
Im Dezember 2015 behauptete Kaczyn´ski angesichts von Kritik an der neuen Regierung in ausländischen Medien, es gebe die „Angewohnheit, Polen im Ausland zu denunzieren“. Diese „Tradition des nationalen Verrats“, die zur Idee des „genetischen Patriotismus“passt, würde „den Genen mancher Menschen innewohnen, der schlimmsten Sorte von Polen. Diese schlimmste Sorte ist gegenwärtig außerordentlich aktiv, weil sie sich bedroht fühlt.“Er legte nach: Die Politiker, Journalisten und Leute aus dem Kulturbetrieb, die PiS kritisierten, hätten es nur dank Krieg
In beiden politischen Lagern bedienen sich Politiker und Journalisten einer
diskriminierenden, sexistischen, homophoben und rassistischen Sprache.
und Kommunismus in die Elite geschafft, würden sich nur um ihre eigenen Interessen kümmern und die Gesellschaft bestehlen. Es überrascht nicht, dass diese Aussage Entrüstung hervorrief. Kaczyn´ski verweigerte jedoch nicht nur eine Entschuldigung, sondern radikalisierte sich sprachlich noch weiter und sagte zu einem Journalisten: „Jetzt einmal ernsthaft. Gehören die Mitarbeiter der Gestapo und die Mitglieder der Heimatarmee zur selben Sorte Menschen? Meiner Meinung nach nicht.“So wurde eine Person, die die neue Regierung in der ausländischen Presse kritisierte – so wie ich gerade –, zu einem „Mitarbeiter der Gestapo“F degradiert. ür die Rhetorik des PiSLagers bedeutete der April 2010 einen wichtigen Einschnitt, als die Regierungsmaschine bei Smolensk abstürzte, wobei fast hundert Menschen ums Leben kamen, darunter der Zwillingsbruder von Jarosław, Präsident Lech Kaczyn´ski. Bereits am Tag des Unfalls deutete sich eine neue Narration an – es ging nicht mehr um verdächtige Seilschaften, Korruption, den kaputten Staat. Wie in der mittelalterlichen Legende von König Popiel, der die Macht übernahm, indem er seine zwölf Onkel vergiftete, sollte Tusk gemeinsam mit Wladimir Putin die Ermordung der PiS-Elite ausgeheckt haben, um die Wiederwahl von Lech Kaczyn´ski zu verhindern. Es war egal, dass Mitglieder verschiedener Parteien an Bord waren oder dass der Präsident schlechte Umfragewerte hatte – die Meuchelmordgeschichte passte symbolisch ideal zum historischen Kontext in Katyn, wo siebzig Jahre zuvor mehr als zwanzigtausend polnische Offiziere einem stalinistischen Verbrechen zum Opfer fielen.
Bisher hatte Kaczyn´ski hauptsächlich nicht belegte Anschuldigungen über geheime Mächte vorgebracht. Nun ging es um ein konkretes Verbrechen und eine angeblich mörderische Regierung. Die Narration hatte verschiedene Stränge. Parallel zur offiziellen Kommission, die den Absturz untersuchte, gab es noch eine Kommission selbst ernannter Experten, die mithilfe von Red-Bull-Dosen und gekochten Würsten „Versuche“machten und zu „beweisen“versuchten, dass das Flugzeug von innen durch die Explosion einer Druckluftbombe zerstört oder durch künstlichen Nebel zum Absturz gebracht worden sei. Aus den anfänglichen Trauerbekundungen entwickelten sich monatliche Gedenkfeiern, die an die Katastrophe (beziehungsweise das „Verbrechen“) erinnerten, religiös-politische Kundgebungen, die den Beginn der „Smolensk-Religion“darstellten, eines Phänomens zwischen Volksfrömmigkeit und aggressiver Propaganda.
Oft wurden die Ereignisse in biblischer Sprache kommentiert: Im Zusammenhang mit PiS-Politikern war unter anderem die Rede vom „gesegneten Schoß, der dich getragen hat“. Und über den verunglückten Lech Kaczyn´ski hieß es, er sitze „zur Rechten des Vaters“.
Die Verehrung hatte noch eine andere Seite. Straße und Internet radikalisierten sich blitzschnell – auf Plakaten und in Kommentaren waren Bezeichnungen wie Mörder, Verräter, Knechte Russlands an der Tagesordnung. Aus Tusk wurde „Herr Tusk“, der Parlamentspräsident und spätere Präsident Komorowski wurde zu „Komoruski“. Man sprach von einer „Smolensk-Lüge“, durch die das „Verbrechen von Smolensk“vertuscht werden sollte. Aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen vermieden PiS-Politiker direkte Anschuldigungen und begnügten sich mit Unterstellungen. Erst kürzlich, als Kaczyn´ski mehrmals an Worte seines Bruders erinnert wurde, die in krassem Gegensatz zu seinem gegenwärtigen Handeln stehen, ging er „außerhalb der Geschäftsordnung“, wie er es nannte, im Sejm ans Rednerpult und rief: „Nehmt den Namen meines seligen Bruders nicht in eure verräterischen Mäuler, ihr habt ihn fertiggemacht, ihr habt ihn ermordet, ihr seid Kanaillen.“Damit sprach er den seit Jahren nie ganz klar benannten Antrieb für sein Tun aus: das Verlangen nach Rache. Vermutlich interessiert sich Kaczyn´ski nicht
Jacek Dehnel
das Regieren per se. Ihm geht es um eine Revolution, die vollständige Übernahme des Staates, eine Alleinherrschaft, die es ihm – wie Titus Andronicus – erlauben würde, grausame Rache an den imaginären Mördern seines Bruders zu üben.
Mit einer derartig aufgeladenen Stimmung geht natürlich eine Wagenburgmentalität einher. Die Opposition ist nicht mehr Opposition, sondern Todfeind; im Parlament werden keine Gesetze mehr erlassen, sondern es ist Werkzeug für einen Rachefeldzug. Überall lauern Verschwörungen, die zu alten, kommunistischen Strukturen und zum Kreml führen, und jeder, der zögert, seine Meinung ändert oder Kompromissbereitschaft zeigt, wird zum Verräter, Kollaborateur und Agenten des Feindes. Die Sprache und die ihr zugrunde liegenden Emotionen funktionieren gemäß der Taktik der verbrannten Erde: Es gibt keinen Verhandlungsspielraum, die großen Brücken werden abgebrochen, Dörfer und Saat sind verbrannt. Es ist das Schlachtfeld eines totalen Kriegs um die Sprache.
Das merkte man jetzt bei den Protesten gegen die drei nicht verfassungsmäßigen Gesetze, die die Unabhängigkeit der Gefür richte aufgehoben hätten: Als Präsident Andrzej Duda – der bisher immer so brav alles unterschrieben hat, dass er den Spitznamen „Kugelschreiber“bekam – Veto gegen zwei davon einlegte, explodierte das rechte Internet vor Empörung. Vor Kurzem noch großer Staatsmann, wird Duda jetzt mit einem stalinistischen Justizverbrecher verglichen und als Agent, Spion, Verräter und so weiter bezeichnet. Auch sprachliche Revolutionen fressen ihre Kinder.
Die Proteste haben ebenfalls eine sprachliche Seite. Der Innenminister sagte über die Massendemonstrationen mit mehreren Tausend Menschen, es habe sich um „viele Spaziergänger“gehandelt. Gleichzeitig bezeichnete sein Parteikollege die Protestierenden – überwiegend junge und sehr junge Menschen, die nach 1989 geboren wurden – als „alte bolschewistische Gespenster und Stasi-Witwen“, was zur Flut an FacebookStatusmeldungen über imaginäre Kleinkinderkarrieren beim GeheimdienstE führte. s gab jedoch auch eine Entwicklung, die auf eine qualitative und generationelle Veränderung hindeuten könnte. In beiden Lagern bedienen sich Politiker und Journalisten einer diskriminierenden, sexistischen, homophoben und rassistischen Sprache. Das verwundert aufseiten der Konservativen weniger, aber auch das andere Lager verwendet häufig solche Begrifflichkeiten, warnt vor dem „PiSlam“, macht sich über die geringe Körpergröße und angebliche Homosexualität
Jacek Dehnel Mit einer derartig aufgeladenen Stimmung geht eine Wagenburgmentalität einher. Die Opposition ist nicht mehr Opposition,
sondern Todfeind.