Religion als Brauchtum
Nicht die Zunahme der Moslems bedroht unsere christlich geprägte Gesellschaft, sondern die Trägheit, das Schwächeln der Christen.
Fast schon könnten sich jene, die davor warnten, der Islam würde in unserem von der Geschichte her christlich geprägten Land Überhand gewinnen, durch die gestern veröffentlichte Studie bestätigt fühlen. Ja, die Zahl der Moslems in Österreich schnellte deutlich hinauf, der Islam stellt die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in Österreich dar und er wächst weiter. Je nach Intensität der Zuwanderung, heißt es in der Prognose des Vienna Institute of Demography. Freilich, keines dieser Szenarien sieht den Islam auch nur in absehbarer Zukunft als stärkste religiöse Kraft in unserem Land.
Abgesehen natürlich von den islamistischen Terroristen, stellt für unsere traditionell gewachsene, christliche Gesellschaft nicht die Lehre Mohammeds die große Gefahr dar, sondern das Abbröckeln des Christentums. Die Gruppe der Nichtgläubigen erhält den Zulauf, den sich die Kirchen wünschen würden. Der Bevölkerungsanteil der Konfessionslosen explodierte von zwölf auf 17 Prozent, ein Ende ist nicht absehbar. Die wirklich große Stärke des Islam ist das immens große Schwächeln der Christen.
„Ich habe keine Angst vor einer Moschee in Brünn oder St. Pölten. Ich habe Angst, wenn in beiden Orten die Kirchen leer sind, weil wir selber an nichts mehr glauben.“Das sagte Karel Schwarzenberg unlängst in einem Interview mit der Kleinen Zeitung. Die Statistik nährt die Ängste des glühenden Europäers und einstigen tschechischen Außenministers. Nur noch jeder zehnte Katholik findet am Sonntag den Weg in eine Kirche, binnen zweier Jahrzehnte sackte die Zahl der regelmäßigen Kirchenbesucher von 1,2 Millionen auf 605.000, also auf fast nur noch die Hälfte, ab.
Das christliche Österreich scheint abgedankt zu haben. „Mutig in die neuen Zeiten, frei und gläubig sieh uns schreiten“, heißt es in der Bundeshymne, in der dritten Strophe, die wohl nur noch wenige kennen werden. Man schreitet auch nicht mehr gläubig in Österreich, nicht einmal mehr bei der Fronleichnamsprozession. er Glaube schrumpfte in den vergangenen Jahrzehnten im gesellschaftlichen Verständnis auf schlichte Brauchtumspflege. Weihnachten als nettes, aber religiös entleertes Familienfest, das man mit feinem Essen und dem Verteilen von Geschenken begeht. Ostern als Frühlingsfest, die Fastenzeit als Gelegenheit, um raffinierte Speisen ohne Fleisch aufzutischen, die unter der Woche anfallenden Feiertage wirken schon eher gewerkschaftlich verbrieft denn religiös geboten und dienen besonders der Förderung von Kurzurlauben. Man muss schon aufpassen, bei kirchlichen Feiertagen das Kirchliche nicht zu betonen, zu leicht gerät man in Verdacht, eine Spaßbremse zu sein.
Wohl bleibt die Mehrheit der Bevölkerung Österreichs auf Jahre hin noch katholisch, dem amtlichen Bekenntnis nach auf alle Fälle, aber die Vermutung dürfte nicht verwegen sein, dass man sich von Religion dabei nicht stören lassen will.
D