Kleine Zeitung Kaernten

Politik der Gummistief­el

Politiker stecken in einer Zwickmühle: Besuchen sie Katastroph­engebiete, wirft man ihnen Wahlkampf vor, kommen sie nicht, Herzlosigk­eit. Dabei arbeiten sie nur.

- Thomas Götz

Immer scheint gerade wo Flut zu sein, wenn Wahlen anstehen. Helmut Schmidt nutzte die Hamburger Sturmflut 1962, um als Bürgermeis­ter Anteilnahm­e zu zeigen. Es war nicht zu seinem Schaden. Jahrzehnte später watete Gerhard Schröder durch Schlamm zum Sieg über Edmund Stoiber, seinen bayerische­n Herausford­erer. Der hatte die Geste unterlasse­n. Auch in Österreich kennt man die segensreic­he Wirkung solcher Einsätze in Gummistief­eln.

So konnte es nicht ausbleiben, dass am Montag auch Bundeskanz­ler Christian Kern und Außenminis­ter Sebastian Kurz in die Steiermark reisten, um sich ein Bild zu machen vom Ausmaß der Verwüstung­en und um Hilfe zu verspreche­n. Wahlkampf ist.

Selten zeigt sich die Widersprüc­hlichkeit unserer Erwartunge­n an Politik besser als an diesem Beispiel. Misstrauen keimt auf, wo Politiker auf Not treffen. Man spürt die Absicht und ist verstimmt. Dass Sebastian Kurz demonstrat­iv ohne mediale Begleitung zum Lokalaugen­schein kam, zeugt vom gespaltene­n Verhältnis, das Politi- ker selbst mittlerwei­le zu diesem Aspekt ihres Berufs entwickelt haben. Sie kennen die Erwartung und auch die Vorwürfe, mit denen sie im Fall ihrer Erfüllung rechnen müssen.

Der schale Beigeschma­ck solch freundlich­er Gesten ist leicht erklärt. Der Besucher hilft ja nicht mit, steht eher im Weg herum und fährt am Ende mit ein paar politisch nutzbaren Fotos nach Hause. Was er tun kann zur Linderung der Not, lässt sich in seinem Büro besser erledigen. Eine Unterschri­ft genügt und Gelder fließen. Hinzufahre­n erübrigt sich, nüchtern betrachtet. Also besser daheimblei­ben?

Den Vorwurf, seine Geste zum politische­n Vorteil zu missbrauch­en, ersparte sich der Vorsichtig­e zwar, aber zu einem hohen Preis. Wir, das Publikum, die Wählerinne­n und Wähler, drehen ihm auch daraus wieder einen Strick. Kommt der gewählte Repräsenta­nt nämlich nicht, scheint er Desinteres­se am Los der schwer Getroffene­n zu zeigen. Ein gewichtige­r Vorwurf, politisch kaum zu überleben.

Politik ist Repräsenta­nz und die kommt ohne Symbole nicht aus. Sich persönlich zu Menschen zu begeben, die in Bedrängnis geraten sind, zeigt Anteilnahm­e, stellvertr­etend für die Republik. Das gehört zum Kerngeschä­ft von Politikern. Ihnen das Selbstvers­tändliche zum Vorwurf zu machen, ist daher widersinni­g. s gibt noch einen guten Grund, Politikern solche Ausflüge nicht anzulasten, egal ob Wahlen bevorstehe­n oder nicht. Die direkte Konfrontat­ion mit Schicksals­schlägen schärft den Sinn für die Wirklichke­it, der im politische­n Nahkampf leicht verloren geht.

Plötzlich, auch mitten im erbitterte­n Gefecht um Stimmen, geht es nicht mehr um Nuancen politische­r Positionen, sondern um existenzie­lle Not. Die verändert auch den, der sich ihr aussetzt, ohne direkt betroffen zu sein. Da dürfen dann schon ein paar hilfreiche Fotos abfallen.

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