Politik der Gummistiefel
Politiker stecken in einer Zwickmühle: Besuchen sie Katastrophengebiete, wirft man ihnen Wahlkampf vor, kommen sie nicht, Herzlosigkeit. Dabei arbeiten sie nur.
Immer scheint gerade wo Flut zu sein, wenn Wahlen anstehen. Helmut Schmidt nutzte die Hamburger Sturmflut 1962, um als Bürgermeister Anteilnahme zu zeigen. Es war nicht zu seinem Schaden. Jahrzehnte später watete Gerhard Schröder durch Schlamm zum Sieg über Edmund Stoiber, seinen bayerischen Herausforderer. Der hatte die Geste unterlassen. Auch in Österreich kennt man die segensreiche Wirkung solcher Einsätze in Gummistiefeln.
So konnte es nicht ausbleiben, dass am Montag auch Bundeskanzler Christian Kern und Außenminister Sebastian Kurz in die Steiermark reisten, um sich ein Bild zu machen vom Ausmaß der Verwüstungen und um Hilfe zu versprechen. Wahlkampf ist.
Selten zeigt sich die Widersprüchlichkeit unserer Erwartungen an Politik besser als an diesem Beispiel. Misstrauen keimt auf, wo Politiker auf Not treffen. Man spürt die Absicht und ist verstimmt. Dass Sebastian Kurz demonstrativ ohne mediale Begleitung zum Lokalaugenschein kam, zeugt vom gespaltenen Verhältnis, das Politi- ker selbst mittlerweile zu diesem Aspekt ihres Berufs entwickelt haben. Sie kennen die Erwartung und auch die Vorwürfe, mit denen sie im Fall ihrer Erfüllung rechnen müssen.
Der schale Beigeschmack solch freundlicher Gesten ist leicht erklärt. Der Besucher hilft ja nicht mit, steht eher im Weg herum und fährt am Ende mit ein paar politisch nutzbaren Fotos nach Hause. Was er tun kann zur Linderung der Not, lässt sich in seinem Büro besser erledigen. Eine Unterschrift genügt und Gelder fließen. Hinzufahren erübrigt sich, nüchtern betrachtet. Also besser daheimbleiben?
Den Vorwurf, seine Geste zum politischen Vorteil zu missbrauchen, ersparte sich der Vorsichtige zwar, aber zu einem hohen Preis. Wir, das Publikum, die Wählerinnen und Wähler, drehen ihm auch daraus wieder einen Strick. Kommt der gewählte Repräsentant nämlich nicht, scheint er Desinteresse am Los der schwer Getroffenen zu zeigen. Ein gewichtiger Vorwurf, politisch kaum zu überleben.
Politik ist Repräsentanz und die kommt ohne Symbole nicht aus. Sich persönlich zu Menschen zu begeben, die in Bedrängnis geraten sind, zeigt Anteilnahme, stellvertretend für die Republik. Das gehört zum Kerngeschäft von Politikern. Ihnen das Selbstverständliche zum Vorwurf zu machen, ist daher widersinnig. s gibt noch einen guten Grund, Politikern solche Ausflüge nicht anzulasten, egal ob Wahlen bevorstehen oder nicht. Die direkte Konfrontation mit Schicksalsschlägen schärft den Sinn für die Wirklichkeit, der im politischen Nahkampf leicht verloren geht.
Plötzlich, auch mitten im erbitterten Gefecht um Stimmen, geht es nicht mehr um Nuancen politischer Positionen, sondern um existenzielle Not. Die verändert auch den, der sich ihr aussetzt, ohne direkt betroffen zu sein. Da dürfen dann schon ein paar hilfreiche Fotos abfallen.
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