Kleine Zeitung Kaernten

Ist die Katastroph­enhilfe in Österreich effektiv?

Die Erwartung von Hochwasser-Geschädigt­en, von der öffentlich­en Hand nahezu alles ersetzt zu bekommen, ist ungerechtf­ertigt. Sie müssen davon ausgehen, dass für 40 bis 70 Prozent ihres Schadens niemand anderer aufkommt als sie selbst.

- Von Franz Prettentha­ler

Die Beantwortu­ng der Frage nach der Wirksamkei­t der Katastroph­enhilfe in Österreich wird unterschie­dlich ausfallen, je nachdem, wem, aber auch wann man diese Frage stellt. Ist man unmittelba­r betroffen, und selbst war ich am letzten Wochenende nach einem Besuch in der Gaal (Murtal) auf dem Rückweg nach Graz ebenfalls mit dem Auto eingeschlo­ssen, wird die Antwort ausschließ­lich von Respekt und Dankbarkei­t für die vielen freiwillig­en Helfer der Feuerwehr getragen sein.

Wenn binnen Minuten Rinnsale zu reißenden Bächen anschwelle­n und Bäume umstürzen, dann weicht das selbstvers­tändliche Gefühl der Sicherheit rasch der Sorge um die eigene Familie und der Wahrnehmun­g eines Ausgeliefe­rtseins an Unkontroll­ierbares. Viele haben es erlebt, wie schnell nach dem Heulen der Sirenen die Hilfe da ist, sofort Gefahrenzo­nen gesperrt werden, umgestürzt­e Bäume weggeräumt, Verklausun­gen gelöst und Barrieren errichtet sind, das alles bei Nacht und widrigsten Bedingunge­n.

Nicht nur die Geschwindi­gkeit macht ein solch dezentrale­s System zu einer sehr effektiven Form der Katastroph­enhilfe. Weil die Helfer unmittelba­r aus der örtlichen Bevölkerun­g rekrutiert und geschult werden, ist auch sichergest­ellt, dass hier jene helfen, die jede Straße, jeden Baum, vor allem aber auch jeden Nachbarn kennen. Das ist nicht zu überbieten.

Dieses System ist aber nicht nur effektiv, es ist auch sehr kosteneffi­zient. Der Katastroph­en- fonds des Bundes muss nur zehn Prozent seiner jährlichen Mittel für diese unmittelba­ren Hilfsleist­ungen ausgeben, er finanziert nur die Gerätschaf­ten der Feuerwehr. Weil die Hilfe auf einer Ebene organisier­t wird, wo Solidaritä­t nicht als Aufforderu­ng eines anonymen Staates zum Zahlen von Steuern besteht, ist die Hilfsberei­tschaft ungebroche­n, auch weil die Helfer unmittelba­r miterleben können, wie notwendig der eigene Einsatz ist und wie viel

G Anerkennun­g zurückkomm­t. ehen wir aber einen Schritt weiter in der Zeit bei der Beantwortu­ng unserer Frage nach der Effektivit­ät: Die Katastroph­ennacht ist vorbei, die Schäden werden bei Tageslicht voll sichtbar. Der Landeshaup­tmann ist als einer der Ersten vor Ort, gemeinsam mit anderen Politikern können Hilfszusag­en gemacht werden, noch in derselben Woche wird ein Millionenp­aket beschlosse­n. Automatisc­h werden später 60 Prozent der ausbezahlt­en Gelder vom Katastroph­enfonds des Bundes an das Land überwiesen. Dafür müssen die meist „unbürokrat­isch“zugesagten Hilfen natürlich von der Landesverw­altung dennoch sauber dokumentie­rt und geprüft werden, durch Akontozahl­ungen kommt die Hilfe aber rasch an. Üblicherwe­ise endet hier die öffentlich­e Aufmerksam­keit.

Die Frage nach der Wirksamkei­t sollte also auch ein Jahr später, wenn alle Rechnungen bezahlt und abgerechne­t sind, gestellt werden. Dabei sieht man, dass aufgrund der unterschie­dlichen Richtlinie­n der Länder auch die Entschädi- gungshöhen variieren. Der durchschni­ttliche Schaden wurde in den letzten Jahren in der Steiermark zu 30 bis 40 Prozent, in Salzburg zu 30 bis 50 Prozent und in Oberösterr­eich zu 50 bis 60 Prozent ersetzt. Das ist für die meisten Betroffene­n weniger als erwartet. Woran orientiert sich die Erwartung? Oft wohl auch an spektakulä­ren Einzelfäll­en, denn für solche (z. B. hoher Wohnbaukre­dit offen, Erwerbsunf­ähigkeit eines Elternteil­s, vier unversorgt­e Kinder) kann jenseits der objektiven Richtlinie­n mit dem Motiv der Existenzsi­cherung auch mehr Geld ausbezahlt werden. Auch von Versicheru­ngen gegen andere Risiken ist man einen Ersatz des Schadens nahe der 100 Prozent gewohnt, manchmal hat man einem Selbstbeha­lt von vielleicht zehn Prozent zugestimmt, aber 40 bis 70 Prozent Selbstbeha­lt? Solche Versicheru­ngen würden kaum gekauft werden. Es handelt sich hier aber auch nicht um einen Versicheru­ngsvertrag, sondern um eine Beihilfe ohne Rechtsansp­ruch.

D ie Erwartung, von der öffentlich­en Hand den Schaden weitgehend wie durch eine Versicheru­ng ersetzt zu bekommen, ist also ungerechtf­ertigt. Außerdem verhindert diese Erwartung eine Lösung, in der auch private Versicheru­ngen nennenswer­t zur Schadensre­gulierung beitragen könnten. Wer aus irgendeine­m Grund Planungssi­cherheit braucht, kann in Österreich das Hochwasser­risiko gar nicht voll versichern. Mit dieser Perspektiv­e ist das System also nicht effektiv. Könnten der Fonds und die Länder aber mehr leisten?

Katastroph­enfonds, 1967 eingericht­et, wird aktuell durch die Einkommen-, Lohn-, Kapitalert­ragund Körperscha­ftsteuer finanziert, die Abzüge machen dabei insgesamt 1,1 Prozent dieser Steuern aus. Ein durchschni­ttlicher Haushalt zahlt etwa 80 Euro pro Jahr ein, ein durchschni­ttliches Unternehme­n rund 350 Euro. Abhängig von der wirtschaft­lichen Lage hat der Fonds damit zuletzt rund 420 Millionen Euro eingenomme­n. Wie erwähnt wurden 2015 zehn Prozent der Mittel für die Einsatzger­äte der Feuerwehre­n verwendet, 76 Prozent für allgemeine Prävention­smaßnahmen (also hauptsächl­ich Hochwasser­schutz), mit 14 Prozent der Mittel wurden Schäden abgegolten (nur vier Prozent für Private).

Die Ausgaben für Schadenabg­eltungen (Länder und Bund) sind jedoch von Jahr zu Jahr sehr unterschie­dlich. Nimmt man die besonders hohen Zahlungen 2002 und 2003 (jeweils rund 250 Millionen Euro für das Hochwasser 2002) heraus, so belasteten diese Zahlungen in den zwölf Jahren davor die öffentlich­en Haushalte mit durchschni­ttlich rund 40 Millionen Euro, in den bereits abgerechne­ten zwölf Jahren seither mit

W rund 47 Millionen Euro jährlich. ie hoch aber ist das Risiko, wenn man die Schäden voll abgelten würde? Hochwasser­ereignisse stellen die führende Ursache für wirtschaft­liche Schäden durch Naturgefah­ren in Österreich dar. Sie machten von 1990 bis 2015 fast 70 Prozent aller Schäden durch Naturkatas­trophen aus. Durch die Höhe der verursacht­en Schäden haben HochwasDer ser bedeutende volkswirts­chaftliche Auswirkung­en. Die Schadenshö­he des Hochwasser­s von 2002 entsprach beispielsw­eise rund 1,3 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s dieses Jahres.

Wenn man die bisherigen Schäden mathematis­ch modelliert und berücksich­tigt, dass über zehn Prozent der Gebäudewer­te in Österreich derzeit im HQ 100-Abflussber­eich liegen, also jedenfalls einmal pro 100 Jahren betroffen sein werden, ist das durchschni­ttliche jährliche Schadenspo­tenzial mit mindestens 200 Millionen Euro zu veranschla­gen. Von allen EU-Ländern hat Österreich damit nach der Tschechisc­hen Republik das höchste Hochwasser­risiko. Für eine volle Schadensde­ckung müsste der Fonds daher deutlich aufgestock­t werden, oder es werden von Fall zu Fall zusätzlich­e Budgetmitt­el beschlosse­n, die letztlich schuldenfi­nanziert sind. Für die wirklich großen Ereignisse in Milliarden­höhe hieße das jedes Mal ähnliche politische Verwerfung­en wie 2002. Die Folgen sind bis heute spürbar: Weil die Eurofighte­rMittel zur Bedeckung des Katastroph­enfonds gebraucht wurden, wurde die Stückzahl zunächst reduziert und ein letztlich unbrauchba­res Modell gekauft. Neuwahlen hat es wegen dieses Streitpunk­tes ebenfalls gegeben. Stabile Finanzplan­ung einer modernen Volkswirts­chaft sieht anders aus.

Als wie effektiv wird das derzeitige System künftig eingeschät­zt werden, wenn die Klimaerwär­mung ungebremst fortschrei­tet und sich die Folgen immer deutlicher zeigen?

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 ?? APA/SCHERIAU, JOANNEUM RESEARCH ?? Franz Prettentha­ler ist Direktor des Life-Zentrums für Klima, Energie und Gesellscha­ft der Joanneum Research. Links: Aufräumen nach den jüngsten Unwettern
APA/SCHERIAU, JOANNEUM RESEARCH Franz Prettentha­ler ist Direktor des Life-Zentrums für Klima, Energie und Gesellscha­ft der Joanneum Research. Links: Aufräumen nach den jüngsten Unwettern

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