Ist die Katastrophenhilfe in Österreich effektiv?
Die Erwartung von Hochwasser-Geschädigten, von der öffentlichen Hand nahezu alles ersetzt zu bekommen, ist ungerechtfertigt. Sie müssen davon ausgehen, dass für 40 bis 70 Prozent ihres Schadens niemand anderer aufkommt als sie selbst.
Die Beantwortung der Frage nach der Wirksamkeit der Katastrophenhilfe in Österreich wird unterschiedlich ausfallen, je nachdem, wem, aber auch wann man diese Frage stellt. Ist man unmittelbar betroffen, und selbst war ich am letzten Wochenende nach einem Besuch in der Gaal (Murtal) auf dem Rückweg nach Graz ebenfalls mit dem Auto eingeschlossen, wird die Antwort ausschließlich von Respekt und Dankbarkeit für die vielen freiwilligen Helfer der Feuerwehr getragen sein.
Wenn binnen Minuten Rinnsale zu reißenden Bächen anschwellen und Bäume umstürzen, dann weicht das selbstverständliche Gefühl der Sicherheit rasch der Sorge um die eigene Familie und der Wahrnehmung eines Ausgeliefertseins an Unkontrollierbares. Viele haben es erlebt, wie schnell nach dem Heulen der Sirenen die Hilfe da ist, sofort Gefahrenzonen gesperrt werden, umgestürzte Bäume weggeräumt, Verklausungen gelöst und Barrieren errichtet sind, das alles bei Nacht und widrigsten Bedingungen.
Nicht nur die Geschwindigkeit macht ein solch dezentrales System zu einer sehr effektiven Form der Katastrophenhilfe. Weil die Helfer unmittelbar aus der örtlichen Bevölkerung rekrutiert und geschult werden, ist auch sichergestellt, dass hier jene helfen, die jede Straße, jeden Baum, vor allem aber auch jeden Nachbarn kennen. Das ist nicht zu überbieten.
Dieses System ist aber nicht nur effektiv, es ist auch sehr kosteneffizient. Der Katastrophen- fonds des Bundes muss nur zehn Prozent seiner jährlichen Mittel für diese unmittelbaren Hilfsleistungen ausgeben, er finanziert nur die Gerätschaften der Feuerwehr. Weil die Hilfe auf einer Ebene organisiert wird, wo Solidarität nicht als Aufforderung eines anonymen Staates zum Zahlen von Steuern besteht, ist die Hilfsbereitschaft ungebrochen, auch weil die Helfer unmittelbar miterleben können, wie notwendig der eigene Einsatz ist und wie viel
G Anerkennung zurückkommt. ehen wir aber einen Schritt weiter in der Zeit bei der Beantwortung unserer Frage nach der Effektivität: Die Katastrophennacht ist vorbei, die Schäden werden bei Tageslicht voll sichtbar. Der Landeshauptmann ist als einer der Ersten vor Ort, gemeinsam mit anderen Politikern können Hilfszusagen gemacht werden, noch in derselben Woche wird ein Millionenpaket beschlossen. Automatisch werden später 60 Prozent der ausbezahlten Gelder vom Katastrophenfonds des Bundes an das Land überwiesen. Dafür müssen die meist „unbürokratisch“zugesagten Hilfen natürlich von der Landesverwaltung dennoch sauber dokumentiert und geprüft werden, durch Akontozahlungen kommt die Hilfe aber rasch an. Üblicherweise endet hier die öffentliche Aufmerksamkeit.
Die Frage nach der Wirksamkeit sollte also auch ein Jahr später, wenn alle Rechnungen bezahlt und abgerechnet sind, gestellt werden. Dabei sieht man, dass aufgrund der unterschiedlichen Richtlinien der Länder auch die Entschädi- gungshöhen variieren. Der durchschnittliche Schaden wurde in den letzten Jahren in der Steiermark zu 30 bis 40 Prozent, in Salzburg zu 30 bis 50 Prozent und in Oberösterreich zu 50 bis 60 Prozent ersetzt. Das ist für die meisten Betroffenen weniger als erwartet. Woran orientiert sich die Erwartung? Oft wohl auch an spektakulären Einzelfällen, denn für solche (z. B. hoher Wohnbaukredit offen, Erwerbsunfähigkeit eines Elternteils, vier unversorgte Kinder) kann jenseits der objektiven Richtlinien mit dem Motiv der Existenzsicherung auch mehr Geld ausbezahlt werden. Auch von Versicherungen gegen andere Risiken ist man einen Ersatz des Schadens nahe der 100 Prozent gewohnt, manchmal hat man einem Selbstbehalt von vielleicht zehn Prozent zugestimmt, aber 40 bis 70 Prozent Selbstbehalt? Solche Versicherungen würden kaum gekauft werden. Es handelt sich hier aber auch nicht um einen Versicherungsvertrag, sondern um eine Beihilfe ohne Rechtsanspruch.
D ie Erwartung, von der öffentlichen Hand den Schaden weitgehend wie durch eine Versicherung ersetzt zu bekommen, ist also ungerechtfertigt. Außerdem verhindert diese Erwartung eine Lösung, in der auch private Versicherungen nennenswert zur Schadensregulierung beitragen könnten. Wer aus irgendeinem Grund Planungssicherheit braucht, kann in Österreich das Hochwasserrisiko gar nicht voll versichern. Mit dieser Perspektive ist das System also nicht effektiv. Könnten der Fonds und die Länder aber mehr leisten?
Katastrophenfonds, 1967 eingerichtet, wird aktuell durch die Einkommen-, Lohn-, Kapitalertragund Körperschaftsteuer finanziert, die Abzüge machen dabei insgesamt 1,1 Prozent dieser Steuern aus. Ein durchschnittlicher Haushalt zahlt etwa 80 Euro pro Jahr ein, ein durchschnittliches Unternehmen rund 350 Euro. Abhängig von der wirtschaftlichen Lage hat der Fonds damit zuletzt rund 420 Millionen Euro eingenommen. Wie erwähnt wurden 2015 zehn Prozent der Mittel für die Einsatzgeräte der Feuerwehren verwendet, 76 Prozent für allgemeine Präventionsmaßnahmen (also hauptsächlich Hochwasserschutz), mit 14 Prozent der Mittel wurden Schäden abgegolten (nur vier Prozent für Private).
Die Ausgaben für Schadenabgeltungen (Länder und Bund) sind jedoch von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich. Nimmt man die besonders hohen Zahlungen 2002 und 2003 (jeweils rund 250 Millionen Euro für das Hochwasser 2002) heraus, so belasteten diese Zahlungen in den zwölf Jahren davor die öffentlichen Haushalte mit durchschnittlich rund 40 Millionen Euro, in den bereits abgerechneten zwölf Jahren seither mit
W rund 47 Millionen Euro jährlich. ie hoch aber ist das Risiko, wenn man die Schäden voll abgelten würde? Hochwasserereignisse stellen die führende Ursache für wirtschaftliche Schäden durch Naturgefahren in Österreich dar. Sie machten von 1990 bis 2015 fast 70 Prozent aller Schäden durch Naturkatastrophen aus. Durch die Höhe der verursachten Schäden haben HochwasDer ser bedeutende volkswirtschaftliche Auswirkungen. Die Schadenshöhe des Hochwassers von 2002 entsprach beispielsweise rund 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts dieses Jahres.
Wenn man die bisherigen Schäden mathematisch modelliert und berücksichtigt, dass über zehn Prozent der Gebäudewerte in Österreich derzeit im HQ 100-Abflussbereich liegen, also jedenfalls einmal pro 100 Jahren betroffen sein werden, ist das durchschnittliche jährliche Schadenspotenzial mit mindestens 200 Millionen Euro zu veranschlagen. Von allen EU-Ländern hat Österreich damit nach der Tschechischen Republik das höchste Hochwasserrisiko. Für eine volle Schadensdeckung müsste der Fonds daher deutlich aufgestockt werden, oder es werden von Fall zu Fall zusätzliche Budgetmittel beschlossen, die letztlich schuldenfinanziert sind. Für die wirklich großen Ereignisse in Milliardenhöhe hieße das jedes Mal ähnliche politische Verwerfungen wie 2002. Die Folgen sind bis heute spürbar: Weil die EurofighterMittel zur Bedeckung des Katastrophenfonds gebraucht wurden, wurde die Stückzahl zunächst reduziert und ein letztlich unbrauchbares Modell gekauft. Neuwahlen hat es wegen dieses Streitpunktes ebenfalls gegeben. Stabile Finanzplanung einer modernen Volkswirtschaft sieht anders aus.
Als wie effektiv wird das derzeitige System künftig eingeschätzt werden, wenn die Klimaerwärmung ungebremst fortschreitet und sich die Folgen immer deutlicher zeigen?