Raubtier mit starkem Liebesbedürfnis
Athina Rachel Tsangari (51) zeigt ab heute in Salzburg Wedekinds „Lulu“.
Fantastisch und nervenaufreibend zugleich.“So beschreibt Tsangari die Arbeit an Frank Wedekinds „Lulu“. Das einstige Skandalstück, dem sich heute die letzte Schauspielpremiere dieser Salzburger Festspiele widmet, ist die erste Theaterarbeit der Athener Filmemacherin. In der 1913 finalisierten „Monstretragödie“um die Männerverschlingerin Lulu sieht Tsangari „die stürmische Geschichte der Weiblichkeit, vom männlichen Blick festgehalten“, in der Titelheldin selbst „die perfekte Personifizierung des 20. Jahrhunderts“: Begehren, Sittenlosigkeit, Verletzbarkeit, Widerstandskraft, Freiheit, Zerstörung. Lulu sei sowohl ein Raubtier „als auch ein kleines Mädchen, das unbedingt von jemandem geliebt werden will“. Der notorischen Vielschichtigkeit der Figur begegnet sie mit einem alten Theatertrick: Sie lässt Lulu von insgesamt drei Schauspielerinnen verkörpern.
Zu erwarten ist bildmächtiges Illusionstheater: Schon Tsangaris Erstlingsfilm „The Slow Business of Going“beschrieb ein Kritiker als „Dauererektion für das Auge“– nicht wegen seines erotischen Inhalts, sondern wegen der Schönheit und Intensität der Bilder. Tsangari, die in den USA lebt, hat seither viel gelobte Filme wie „Attenberg“und „Chevalier“gedreht und spielte in Richard Linklaters „Slackers“und „Before Midnight“mit. Auch als zentrale Protagonistin des jüngeren griechischen Kinos machte sich die 51-Jährige einen Namen, etwa als Produzentin für Regisseur Giorgos Lanthimos. Wie dieser liebt sie das Rätselhafte, Uneindeutige. Perfekte Voraussetzung für ein Stück, das mehr als 100 Jahre nach seiner Fertigstellung noch immer zum Skandal einlädt.