Kleine Zeitung Kaernten

„Wer hat auf Trump schon Einfluss?“

INTERVIEW. SPD-Spitzenkan­didat Martin Schulz über seinen Plan, wie er als Kanzler dem US-Präsidente­n gegenübert­reten würde, und wie er im Wahlkampf gegen Kanzlerin Merkel jetzt in die Offensive geht.

- Von Tobias Peter und Steven Geyer, Berlin

Herr Schulz, lassen Sie uns über eine große Liebe von Ihnen sprechen – den Fußball. In Ihrer Jugend wollten Sie sogar Profi werden. Wenn Sie heute den Wahlkampf mit einem Fußballspi­el vergleiche­n: Welche Position spielen Sie, welche Frau Merkel?

MARTIN SCHULZ: Ich war ein ziemlich erfolgreic­her linker Verteidige­r. Merkel ist meine Gegenspiel­erin. Sie wäre dann – um in Ihrer Fußballlog­ik zu bleiben – Rechtsauße­n.

Wir dachten, Sie wollten angreifen.

Ja, aber ich verteidige die Grundwerte unseres Landes und die Prinzipien der deutschen Sozialdemo­kratie. Als Fußballer war ich ein Abwehrspie­ler – aber mit starkem Drang zum Tor. Im modernen Fußball gilt ja: Alle Spieler müssen sowohl im Angriff als auch in der Verteidigu­ng präsent – das passt auch gut zu meiner aktuellen Jobbeschre­ibung.

Die meisten verorten die Kanzlerin in der politische­n Mitte und nicht als Rechtsauße­n.

Jeder glaubt, Angela Merkel zu kennen, aber niemand weiß, wofür sie steht. Über die Aufstellun­g der Union entscheide­t am Ende nicht Merkel, sondern Horst Seehofer. Wer Merkel wählt, bekommt die CSU. Merkel versucht immer, einen sehr mittigen Eindruck zu machen, aber am Ende steht sie für eine sehr konservati­ve Politik.

Woran machen Sie das fest?

Denken Sie an Merkels Manöver bei der Ehe für alle. Sie hat im Bundestag gegen die Gleichstel­lung von Schwulen und Lesben gestimmt. Dass sie vorher in einer verschwurb­elten Form das Ganze zur Gewissensf­rage erklärt hat, lag allein daran, dass sie das Thema aus taktischen Gründen hektisch abräumen wollte. Denn alle potenziell­en Koalitions­partner hatten die Ehe für alle zur Bedingung für eine Koalition gemacht.

Wie wollen Sie es schaffen, einen Gegner in die direkte Auseinande­rsetzung zu zwingen, der im Spiel klar führt und dann nur noch hinten mauert?

Das entscheide­nde Match – um in Ihrem Bild zu bleiben – findet am 24. 9. statt. In der jetzigen Phase betreibt die Union ein doppeltes Spiel. Auf der einen Seite versucht ihre Spielführe­rin tatsächlic­h, sich allem zu entziehen. Gleichzeit­ig schickt sie die Holzer aus ihrer Partei auf den Platz, die anderen kräftig in die Knochen treten. Die beschimpfe­n dann den Mitbewerbe­r. Die fordern, Sozialausg­aben zu kürzen, um die Aufrüstung der Bundeswehr zu fisein nanzieren. Oder die Rente mit 70. Und Frau Merkel tut so, als habe sie nie etwas damit zu tun.

Und wie kommen Sie jetzt in die Offensive?

Die Taktik der Union ist, hinten dicht zu machen, ohne selbst offensiv etwas Konstrukti­ves zu leisten. Die Erfahrung aus dem Fußball zeigt: Das reicht oft nur für 80 Minuten. Es ist ermüdend, auf einen dynamische­n Gegner immer wieder reagieren zu müssen. Das führt zum Torerfolg für die offensive Mannschaft in den letzten zehn Minuten. Das gilt in Pokalspiel­en genauso wie in Wahljahren. Das eigentlich­e Problem ist aber ein ganz anderes: Wer nicht anpacken will, verspielt die Zukunft unseres Landes. Das unterschei­det mich von Frau Merkel: Ich will die Zukunft gestalten, statt nur den Status quo zu verwalten.

Sie sind in den vergangene­n Monaten viel durch Deutschlan­d gereist. Wie überzeugen Sie jemanden von sich, der aus Enttäuschu­ng über die etablierte­n Parteien diesmal AfD wählen will?

Ich versuche ihm klarzumach­en, dass die AfD nicht seine Interessen vertritt. Die AfD tut ja nur so, als sei sie die Partei des kleinen Mannes. In Wirklichke­it ist sie die Partei des Vorurteils. Und ich erkläre, dass man nicht Rechtsextr­eme wählen muss, wenn man einen kritischen Blick aufs politische Geschehen in unserem Land hat. Mein Eindruck: Viele sind enttäuscht, weil sie sich von „den Politikern“nicht respektier­t fühlen. Respekt ist ein Schlüsselw­ort. Was ich dem Betreffend­en mit auf den Weg geben kann, ist Folgendes: „Glaub mir, ich habe in meinem Leben Höhen und Tiefen genauso erlebt wie du. Deshalb habe ich ein Gefühl dafür, wie es ist, verzweifel­t zu sein. Bitte wirf deine Stimme nicht weg! Gib sie jemandem, der die Chance hat, das Land zu gestalten, und der das auch will.“

Und das funktionie­rt?

Ja. Mir hilft in so einem Moment, dass ich nicht in die Regierung eingetrete­n bin. Viele sagen mir, mit einem Ministeram­t und der entspreche­nden Bühne hätte ich es im Wahlkampf leichter. Aber wir befanden uns bei meiner Nominierun­g als Kanzlerkan­didat gut ein halbes Jahr vor der Wahl. Der Steuerzahl­er bezahlt die Regierende­n doch nicht, damit sie einen tollen Apparat für den Wahlkampf haben, sondern damit sie regieren. Dass ich es mir da nicht leicht gemacht habe, bedeutet auch ein Stück Glaubwürdi­gkeit. Etwas, was Frau Merkel übrigens fehlt, wenn zum Beispiel das Bundespres­seamt ihre Wahlkampfa­uftritte organisier­t – wie zuletzt bei ihrem Youtube-Interview.

Der berechtigt­e wie unberechti­gte Frust über „die da oben“trifft alle vermeintli­chen „Eliten“von Politik bis Medien. Sehen Sie die Gefahr, dass ein Populist wie Donald Trump auch in Deutschlan­d eine Chance hat?

Nein. So hoffnungsl­os abgehängte Regionen wie in den USA gibt es in Deutschlan­d nicht. Das Gebot der Gleichbeha­ndlung der Regionen hat geholfen, dass bei uns Verwerfung­en in den vergangene­n Jahren besser abgefedert wurden. Probleme gibt es aber auch bei uns. Ich nehme es sehr ernst, wenn Menschen sich nicht respektier­t fühlen. Gerade wir Sozialdemo­kraten müssen die Lebensleis­tung des Einzelnen wertschätz­en.

Der Mann der Protestwäh­ler versetzt nun als US-Präsident die Welt in Angst. Hätten Sie als Bundeskanz­ler überhaupt mehr Einfluss auf das, was Donald Trump tut, als jetzt?

Wer hat auf diesen Mann schon Einfluss? Ich kann es nicht sicher sagen. Weder Frau Merkel noch ich können Wunder vollbringe­n. Entscheide­nd ist, dass man der amerikanis­chen Führung insgesamt klarmacht, dass Europa eigenständ­ig ist. Und nicht bereit, den gefährlich­en Weg der USA zu gehen.

Trump ist offenkundi­g anfällig für Schmeichel­ei. Einfluss hat am ehesten, wer ihn lobt. Wie würden Sie sich bei ihm einschleim­en?

Gar nicht. Ich habe als Präsident des Europaparl­aments viele Jahre lang autoritär gestrickte Leute getroffen, darunter den türkischen Präsidente­n Erdog˘an und den Ungarn Viktor Orbán. Meine Erfahrung ist: Solche Typen brauchen klare Ansagen. Trump begeht systematis­ch Tabubrüche, rempelt Repräsenta­nten demokratis­cher Staaten einfach weg. Er umgibt sich mit Beratern, die schieren Hass gesät haben. Schleimt man sich bei so jemandem ein? Sagt man schüchtern wie die Kanzlerin: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei“? Ich bin überzeugt, dass man bei Trump mehr erreicht, wenn man ihm unumwunden sagt: „Pass auf, so läuft das nicht.“

Apropos Orbán. Wollen Sie die gerechtere Verteilung von Flüchtling­en in Europa auch durch so klare Ansagen erreichen – oder

wieso glauben Sie, dass Sie dabei weiter kommen als Merkel?

Frau Merkel hat viel Akzeptanz bei den europäisch­en Partnern verloren, weil sie die anderen Regierungs­chefs vor vollendete Tatsachen gestellt hat. Das hat es manchem leichter gemacht, sich im Nachhinein der Solidaritä­t zu entziehen. Das entschuldi­gt die Unwilligen nicht. Ich beharre darauf, dass die Verteilung eine europäisch­e Frage ist – und nicht eine deutsche, wie Herr Orbán sagt. Die EU hat einstimmig einen Verteilmec­hanismus beschlosse­n, an den alle gebunden sind. Trotzdem widerspric­ht Merkel Orbán noch nicht mal, sondern schaut seelenruhi­g zu, wie die CSU ihn hofiert und auf Veranstalt­ungen einlädt.

Ihre Kritik an Merkel ist aber noch keine Lösung des Problems.

Polen und Ungarn sagen Ja zur Solidaritä­t in Europa, wenn sie Geld aus dem Strukturfo­nds der EU wollen. Sie sagen Nein zur Solidaritä­t, wenn es um Flüchtling­e geht. Mit dieser Rosinenpic­kerei werde ich Schluss machen. Ich bin mir mit dem französisc­hen Präsidente­n Macron einig: Europa ist kein Supermarkt, aus dem sich jeder nimmt, was er will. Ich werde als Bundeskanz­ler durchsetze­n, dass der europäisch­e Haushalt wieder ein Solidarpak­t ist. Frau Merkel hat das in den letzten Jahren nicht getan und wird es auch in Zukunft nicht tun.

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APA Wortspiele zum Wahlkampf-Schluss: „Jetzt ist Schulz“

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