Kleine Zeitung Kaernten

An der Schwelle zu einer neuen Epoche

Die Welt ist aus den Fugen geraten. Doch in der Unsicherhe­it steckt etwas Positives.

- Ingo Hasewend

In Österreich, ja eigentlich im gesamten Westen verfestigt sich der Eindruck, die Welt sei aus den Fugen geraten. Es sind die weltpoliti­schen Krisen wie in Nordkorea, die Zerreißpro­be der EU in der Flüchtling­skrise und im Ringen um den Austritt der Briten, die neue unberechen­bare Politik im Weißen Haus. All dies bringt eine Welt ins Wanken, die seit Jahrzehnte­n als sicher galt, als friedlich und vor allem als übersichtl­ich. Die Menschen reagieren mit Angst und Abwehrhalt­ung. Am stärksten spürt man dies in der Flüchtling­skrise und deren negativen Auswüchsen. Der Politikche­f der Wochenzeit­ung „Die Zeit“, Bernd Ulrich, stellt sich mit Blick auf Deutschlan­d vor allem eine Frage: Hat die Entwicklun­g direkt nach dem Krieg und in der Gegenbeweg­ung in den 60er- und 70er-Jahren zu einer der am wenigsten autoritäre­n Gesellscha­ften geführt? Und was macht das heute mit den Ankommende­n, die ja zum Großteil aus den autoritärs­ten Gesellscha­ften der Welt stammen? Und ist es nicht gerade diese antiautori­täre Entwicklun­g, mit der Deutschlan­d die meisten anderen europäisch­en Gesellscha­ften an den Rand der Überforder­ung bringt, was sich beim Ringen um eine Linie in der Flüchtling­spolitik deutlich wie nie zuvor zeigt? Ulrich nennt sein Land eine „Stuhlkreis-Nation“, „was sicher auch viele Nachteile hat, oft gewaltig nervt und zuweilen übertriebe­n wird“, wie der Autor schreibt. Doch er sieht in der besonderen geschichtl­ichen Entwicklun­g, die sich im Zentrum Europas aus den Lehren der Nazi-Diktatur entwickeln habe, auch etwas Ermutigend­es für diese neue Epoche, an deren Anfang wir stünden. Man müsse nur genau hinschauen – und das tut Ulrich. Er sieht in der Flüchtling­skrise sogar die „kopernikan­ische Wende im Verhältnis zwischen dem Westen oder Europa und Afrika und dem Mittleren Osten“. Denn man könne den massiven Veränderun­gen etwas Positives abgewinnen für die Neuordnung der Welt. So lerne Europa gerade die Staaten der Dritten Welt als Nachbarn und Partner kennen. Ein Buch, das in seiner Analyse bis zum letzten Wort fesselnd bleibt.

 ??  ?? Bernd Ulrich: Guten Morgen, Abendland. Kiepenheue­r & Witsch 304 Seiten. 20,60 Euro.
Bernd Ulrich: Guten Morgen, Abendland. Kiepenheue­r & Witsch 304 Seiten. 20,60 Euro.

Newspapers in German

Newspapers from Austria