„Wir leben in einer Zeit der Alles-Blase“
Wirtschaftsphilosoph Rahim Taghizadegan über den Trend zu Kryptowährungen, Geld, das verzweifelt nach Anlagen sucht, und die Dramatik der Digitalisierung.
Die Finanz- und Wirtschaftskrise scheint vorbei, die Stimmung ist bestens. Alles wieder in Butter?
RAHIM TAGHIZADEGAN: In der Wahrnehmung ja – leider. Man hat die Chance verpasst, aus dieser Krise zu lernen. Es ist sogar gelungen, nochmals eine Blase draufzusetzen. Die Verzerrung war schon damals groß und ist heute gigantisch.
Welche Verzerrung?
Wir haben es mit dem Versuch zu tun, über die Injektion schrankenloser Liquidität in die Märkte das Werkl am Laufen zu halten.
Die Zentralbanken öffneten ihre Geldschleusen. Eine Politik, die einer Hybris der Steuerung der Märkte über die Geldpolitik erliegt. Lange Zeit ging das auch ganz gut, weil mehr Wertschöpfung durch Ausweitung einer Schuldenwirtschaft möglich war. Diese Mehrrenditen durch mehr Schulden werden jetzt aber immer schmäler und fraglicher: Wir sind heute in einer Zeit der Alles-Blase, in der es kaum noch lukrative Anlagemöglichkeiten gibt. Jede Assetkategorie ist aufgebläht.
Weil zu viel Geld vorhanden ist?
Es fließt um die Welt und sucht verzweifelt nach letzten Anla- gemöglichkeiten. Es dringt in alle Ritzen ein – die letzte, in die es jetzt eindringt, ist der Kryptowährungsbereich. Ein relativ kleines Gefäß, das sich um das Zehn-, Hundert- oder Tausendfache aufbläht, nur weil es den Druck der Finanzmärkte nach realen Renditen im Null- und Negativzinsumfeld gibt.
Was sagt es über die Gesellschaft aus, wenn eine virtuelle Währung realem Geld, dem viele nicht mehr vertrauen, vorgezogen wird? Vor Kurzem schien das noch völlig absurd, aber es ist eine Frage der Alternativen. Das Vertrauen, dass das Geld auf einem Sparbuch realer, sicherer und weniger imaginär wäre, ist weg. Man sucht verzweifelt nach Dingen, die sich unkorreliert zu dieser Alles-Blase verhalten – werterhaltender, mit mehr Rendite.
Würden Sie Ihre Honorare in Bitcoins investieren? Ich nehme gerne Kryptowährungen als Zahlung an und bin sehr früh in Kryptowährungen engagiert gewesen, würde aber nicht alle meine Ersparnisse so veranlagen. Kryptowährungen sind eine Innovation, weil sie kein Vertrauen in eine Institution voraussetzen.
Im Gegenteil. Sie drücken ja Misstrauen gegen Banken aus. Richtig. Statt Politik, Banken und Regulierungsapparaten steht eine Technologie dahinter, die man verstehen kann. Die großen Institutionen verspielen nach und nach jegliches Vertrauenskapital.
Wie soll die Gesellschaft mit den Herausforderungen der digitalen Transformation umgehen? Jede Technik, die Produktivität erhöht, ist grundsätzlich großartig, weil sie den Wohlstand über sinkende Preise erhöht. Die Digitalisierung ist ja ein alter Hut, aber es dauert sehr lange, bis sich die Strukturen anpassen. Das passiert nicht schleichend, sondern bruchweise. Man wird bald realisieren, dass die bestehenden Strukturen des Wohlfahrtsstaates und die Art, wie wir Arbeitsplätze verstehen, aus einer alten Welt stammen, die sich
gerade verabschiedet. Das ist die eigentliche Dramatik.
Wir ignorieren Veränderungen?
Wir werden ein Auseinanderdividieren zwischen einer breiten, scheinbar unbeschäftigbaren Masse und denen, die profitieren, sehen. Digitalisierung ermöglicht eine größere Flexibilität und bietet auch große Chancen für das Lokale. Viele erliegen der Scheingewissheit,
es werde schon irgendwie weitergehen. Dabei ist es der klassische Arbeitsplatz, der schwindet, nicht aber die Arbeit.
Werden wir durch die Digitalisierung alle arbeitslos? Nein, aber die Arbeitsplätze für einen Teil der Bevölkerung schwinden. Der andere Teil erlebt eine steigende Zahlungsbereitschaft. Im Silicon Valley bekommt ein Praktikant 8000 Dollar, während der typische Arbeiter in den USA mit drei Jobs kaum über die Runden kommt. Bei uns ist es noch nicht ganz so dramatisch, aber es entwickelt sich in die Richtung, dass ganz neue Fertigkeiten gefordert werden – kreativere, kritische Arbeitsformen, die in der klassischen Ausbildung zu kurz kommen.
Wo die ist Bruchlinie in der Gesellschaft – ist es die Bildung? Bildung spielt gar keine so große Rolle. Man sieht im Silicon Valley, dass Abschlüsse weniger wichtig werden und Autodidaktik eine große Rolle spielt. Es geht um die Grund- einstellung, offen zu sein, auszuprobieren, Wagnisse einzugehen. Aber auch eine gewisse abstrakte Grundintelligenz ist gefordert – das ist das Unangenehmste dabei.
Was meinen Sie damit?
Die Dominanz von Nerds und Freaks mit oft autistischen Zügen, aber einer sehr hohen abstrakten Intelligenz, die sich besonders gut eignet, mit Maschinen zu kommunizieren, und oft mit einem hohen IQ korreliert. Das wird Probleme erzeugen.
Ihre Familie verlor im Zuge des Iran-Irkak-Krieges ihre Existenz, konnte sich diese aber wieder aufbauen. Ist es heute noch möglich, sich quasi von null weg in den Mittelstand hochzuarbeiten? Ein Eigenheim ist für viele junge Leute in große Ferne gerückt, nicht einmal das Auto ist selbstverständlich. In der Generation davor waren das typische Insignien minimalbürgerlicher Existenz. Es ist eine trotzige Gegenreaktion, wenn viele junge Leute sagen, sie brauchen das gar nicht, sie fahren lieber mit Uber als dem eigenen Auto. Viele junge Leute danken in der realen Welt ab und begeben sich in eine virtuelle, in der sie sich Prestige erwirtschaften können. Dieses Abkapseln ist keine schöne Entwicklung, wie man in Japan beobachten
kann.