In Libyen zeichnet sich eine Wende ab
Merkel und Macron laden nach Paris zum Flüchtlingsgipfel. Tatsächlich hat sich die Zahl der Überfahrten nach Italien stark reduziert.
Italiens Innenminister frohlockte. „Wir sehen Licht am Ende des Tunnels“, sagte Marco Minniti in Rom. „Doch der Tunnel ist noch sehr lang und ich hoffe, ich bin nicht zu optimistisch.“Die Rede ist von den Bootsmigranten aus Libyen, deren Zahl in den zwei Vormonaten dramatisch gesunken ist. Im Juli waren es mit 11.500 nur noch halb so viele wie im Vorjahr. Im August registrierten Italiens Behörden lediglich 2250 Neuankömmlinge, ein Zehntel im Vergleich zum August 2016. Hält diese Entwicklung an, wäre dies ein erstes Indiz, dass die Kooperation der EU mit den afrikanischen Transitländern und Libyen zu greifen beginnt. Heute wollen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, Spaniens Premier Mariano Rajoy und Italiens Regierungschef Paolo Gentiloni mit Spitzenpolitikern aus Libyen, Niger und Tschad in Versailles über das weitere Vorgehen beraten.
„Es ist noch zu früh, um von einem Trend zu sprechen“, warnte Barbara Molinario, Sprecherin des UN-Flüchtlingskommissars. Denn so drastellen matisch der Rückgang ist, auf die Gesamtstatistik wirkt er sich bisher kaum aus. Die Überfahrten nach Italien liegen derzeit mit 98.000 etwa 7000 unter dem Vorjahr. Dafür gehen sie auf der westlichen Route von Marokko nach Spanien in die Höhe, wo 4600 mehr eintrafen.
Seit Anfang 2016 sucht die EU auf vielen Kanälen eine engere Kooperation mit Libyen und seinen Nachbarn im Süden. Die Küstenwache bekam zehn neue Patrouillenboote, die von zwei italienischen Kriegsschiffen unterstützt werden. Die meisten privaten Rettungsschiffe mussten sich auf Druck der europäischen Mittelmeerstaaten zurückziehen. Mit dem Sudan, Tschad und Niger, den Haupttransitländern nach Libyen, schloss Brüssel Verträge, um den Trans-Sahara-Verkehr einzudämmen. Im Gegenzug für finanzielle Hilfen in dreistelliger Millionenhöhe gehen deren Grenztruppen nun härter gegen Schmuggler und Migranten vor.
Zudem wächst an den Küstenorten der Widerstand gegen das Schlepperunwesen. „Wir haben die Nase voll von den Menschenschmugglern an unseren Stränden“, sagte Hassen Dhawadi, Bürgermeister von Sabratha. Sabratha liegt 70 Kilometer westlich von Tripolis und beherbergt eine römische Ruinenstadt, die seit 1982 zum Weltkulturerbe gehört. Von hier riskierten bereits Zehntausende die Überfahrt. Nun will die AlWadi-Miliz, die aus Bürgern von Sabratha besteht, dem Treiben ein Ende setzen. Ihre Mitglieder patrouillieren an der Küste und werden von der Regierung der Nationalen Einheit in Tripolis bezahlt. Wen sie am Strand antreffen, den nehmen sie fest und bringen ihn in ein kommunales Lager am Stadtrand, das längst aus allen Nähten platzt.
Ob die Strategie der EU auf Dauer wirkt, muss sich noch zeigen. Denn die Schmuggler sich in der Regel schnell auf die neue Lage ein. In der Sahara weichen sie wegen der verschärften Kontrollen auf gefährlichere Routen aus. Allein im Niger rettete die Internationale Organisation für Migration (IOM) seit April über tausend Menschen vor dem Verdursten. Auch Neuankömmlinge berichten, dass alles schwieriger geworden sei. „Dort sind Leute, die die Boote an der Abfahrt hindern. Wenn sie dennoch losfahren, werden sie sofort wieder zurück an Land geschickt“, zitierte IOM-Sprecher Flavio Di Giacomo ihre Aussagen. Die Menschenschmuggler jedoch machen sich aus dem Staub. Sie verlegen die Abfahrten der Schlauchboote nach al-Chums, 200 Kilometer weiter östlich.