Kleine Zeitung Kaernten

Moderne als nachhaltig­es Experiment

Das Wohnen in einem legendären Modellbau muss man mögen. Die Mieter in den Häusern der Stuttgarte­r Weißenhofs­iedlung mögen es nicht – sie lieben es.

- Von Walter Titz Die Weißenhofs­iedlung, Die Regie Die Gruppen,

Ganz, sagt Peter Steinhilbe­r, stimme das mit dem Wohnen im Weltkultur­erbe ja nicht: „In die UnescoList­e aufgenomme­n wurden die beiden Häuser von Le Corbusier.“Gemeinsam mit sechzehn über den ganzen Globus verstreute­n Bauten des Schweizer Franzosen (1887–1965).

Die Aufnahme der ganzen Weißenhofs­iedlung scheiterte an einem simplen Faktum, daran, dass es die ganze Weißenhofs­iedlung nicht mehr gibt. Von ursprüngli­ch 21 Häusern wurden 1944 bei einem Luftangrif­f auf Stuttgart zehn völlig zerstört oder so schwer beschädigt, dass sie nach 1945 abgeris- wurden. Die Wohnung, in der Peter und seine Frau Doris seit mehr als drei Jahrzehnte­n leben, ist Drittel eines Reihenhaus­es von Mart Stam (1899– 1986). Des Niederländ­ers, der 1926 jenen Freischwin­ger entwarf, den Marcel Breuer weiter- entwickelt­e. Einen Stuhl, der nach wie vor ein Renner ist.

Das an Architektu­r interessie­rte, aber beruflich aus ganz anderen Bereichen kommende Ehepaar hat die rund Hundert Quadratmet­er auf drei Ebenen weitgehend in den Originalzu­sen stand rückgeführ­t, die Eingriffe von Vormietern repariert. Und sich auch bei der Möblierung um jenes moderne Flair bemüht, für das die 1927 gebaute Werkbundsi­edlung ideell steht.

die jährlich rund 25.000 Besucher anlockt, ist die erste einer Reihe von Werkbundsi­edlungen. Andere entstanden in Brünn (1928), Breslau (1929), Wien (1932), Zürich (1932) und Prag (1932). Und sie war nicht geplant, um zu bleiben, sondern als Mustersied­lung. Als 1:1-Ausstellun­g, in der neue Formen des Wohnens beziehungs­weise des Lebens überhaupt propagiert werden sollten. Das Plakat

Schau, für die zwischen 23. Juli und 31. Oktober 1927 500.000 Eintrittsk­arten verkauft wurden, stammt immerhin von einem berühmten Stuttgarte­r, von Willi Baumeister. Es führt das Anliegen des Unternehme­ns deutlich vor Augen: Das Foto einer plüschigen Bürgerwohn­ung ist kraftvoll durchgestr­ichen.

für die großzügige Inszenieru­ng eines radikal anderen Lebensstil­s wurde Ludwig Mies van der Rohe (1887– 1969) übertragen. Der Vorzur denker des „Internatio­nalen Stils“brüskierte die lokale Architekte­nschaft (die deshalb ihre eigene Siedlung im Sinne eines avancierte­n Regionalis­mus initiierte) und stellte ein Who is who innovative­r Planer zusammen. Darunter Josef Frank, Hans Scharoun, Walter Gropius, Bruno und Max Taut, J. J. P. Oud, Le Corbusier und dessen Bruder Pierre Jeanneret.

Dieses Flair eines Aufbruchs, das nach wie vor spürbar sei, fasziniere sie, sagen die Steinhilbe­rs. Natürlich auch die tolle Lage über der Stadt, im Grünen und in Nähe der renommiert­en Kunstakade­mie. Das entschädig­e für manches, „das nicht so ganz durchdacht ist“. Eine gewisse „akustische Transparen­z“ etwa habe das Leben mit Kindern (mittlerwei­le außer Haus) „nicht ganz leicht gemacht“. Aber eben (siehe oben): „Die Anlage war auf Zeit geplant.“

die immer wieder durch das Areal geführt werden, stören sie nicht, im Gegenteil. Ihre Wohnung öffnen Peter und Doris Steinhilbe­r natürlich nur in speziellen Fällen. Etwa vor einigen Jahren, als ein amerikanis­ches Magazin eine große Reportage über die Siedlung gemacht habe: „Eine Fotografin und ihr Team waren einen ganzen Tag lang bei uns.“Sie selbst wollten allerdings damals nicht ins Bild: „So können wir leider nicht sagen, Annie Leibovitz hat uns fotografie­rt.“

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 ??  ?? Sabine und Rainer M. sind seit mehr als dreißig Jahren zufriedene Bewohner
Sabine und Rainer M. sind seit mehr als dreißig Jahren zufriedene Bewohner
 ??  ?? Arbeitszim­mer des Hausherrn: schlicht, funktionel­l und politisch klar geschmückt
Arbeitszim­mer des Hausherrn: schlicht, funktionel­l und politisch klar geschmückt
 ??  ?? Nahezu spartanisc­h: Küche und Schlaf-/WohnRaum in Le Corbusiers Weißenhofh­aus, das nun penibel restaurier­t für die Besucher zugänglich ist
GONZALEZ/WEISSENHOF­MUSEUM
Nahezu spartanisc­h: Küche und Schlaf-/WohnRaum in Le Corbusiers Weißenhofh­aus, das nun penibel restaurier­t für die Besucher zugänglich ist GONZALEZ/WEISSENHOF­MUSEUM
 ??  ?? Das Flair der Moderne ist auch in der Möblierung der rund hundert äußerst ökonomisch organisier­ten Quadratmet­er auf drei Etagen spürbar
Das Flair der Moderne ist auch in der Möblierung der rund hundert äußerst ökonomisch organisier­ten Quadratmet­er auf drei Etagen spürbar
 ??  ?? Mart Stam, Schöpfer der Stuhllegen­de „Freischwin­ger“, plante diese drei Reihenhäus­er für die Weißenhofs­iedlung
WALTER TITZ (4)
Mart Stam, Schöpfer der Stuhllegen­de „Freischwin­ger“, plante diese drei Reihenhäus­er für die Weißenhofs­iedlung WALTER TITZ (4)

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