Auf der Suche nach dem alten Drago
Die Kritik, die Aleksandar Dragovic seit dem Vorjahr einstecken muss, ist harsch. Genau das hat er sich jedoch selbst zuzuschreiben. Deshalb, weil der Innenverteidiger einen kometenhaften Aufstieg hingelegt hat. Als 17-Jähriger debütierte Dragovic für die Wiener Austria in der Bundesliga, avancierte schnell zum unumstrittenen Stammspieler in Favoriten. Sein Wechsel zum Schweizer Meister Basel um eine Million Euro Ablöse im Jänner 2011 folgte als logischer nächster Schritt. Zweieinhalb Jahre später, mit reichlich Erfahrung in Champions League und Nationalteam, ging es zum ukrainischen Topklub Dynamo Kiew (neun Millionen Euro Ablöse). Der Aufschwung kannte kein Ende. Dragovic stand für den modernen Innenverteidiger: Stark im Zweikampf und Kopfballspiel, gesegnet mit einer guten Technik und einem tollen Passspiel. Ganz Österreich schwärmte von ihm, als er einen großen Teil dazu beitrug, dass sich das Nationalteam erstmals sportlich für eine Europameisterschaftsendrunde qualifizierte.
Ausgerechnet in Frankreich sollte Dragovic die andere Seite des Geschäftes kennenlernen. Mit einer Roten Karte im Auftaktspiel gegen Ungarn und dem verschossenen Elfmeter in der Entscheidungspartie gegen Island wurde just er zum Sündenbock. Das Pech sollte an ihm haften bleiben. Wenn er im Nationalteam, wie in Irland, gut spielte, passierte dennoch ein Aussetzer (1:1), der am Ende zwei Punkte kostete.
Sein Vereinswechsel zu Leverkusen (um 18 Millionen Euro Ablöse) brachte nicht den erwünschten Durchbruch in der deutschen Bundesliga. Im Gegenteil: Trotz großer Erwartungen stieg der frühere Champions-League-Dauergast fast in die Zweite Bundesliga ab. Zwei Trainerwechsel führten nicht dazu, dass er mehr Vertrauen geschenkt bekam. Der Wechsel zu Leicester in die Premier LeagueR gleicht einem Neustart. ichtig so. Denn Dragovic hat das Fußballspielen nicht verlernt. Der Wiener wird aus dieser Situation herauskommen. Weil er den Fußball liebt, ihm alles unterordnet, Extraschichten wie ein Berserker schiebt, um mit den Besten der Besten mithalten zu können. Als seine Mutter in die USA zog, blieb er als 14-Jähriger in Österreich – bei seinen Großeltern. Weil er immer Profifußballer werden wollte. Oma und Opa übernahmen fortan die Elternrolle. Vor allem der Großvater begleitete ihn überall hin, war bei jedem Spiel dabei. Durch ihn, seinen größten Kritiker, blieb Dragovic, der sich laktosefrei ernährt, immer bodenständig. Erstmals in seiner Karriere erlebt der 57fache Internationale ein Tief. Das führt dazu, dass der intensive Grübler noch intensiver Dinge hinterfragt.
Aleksandar Dragovic gilt als talentiertester Innenverteidiger Österreichs. Seit 2016 bleibt der 26-Jährige aber hinter den Erwartungen zurück. Die Ursachenforschung. A n und für sich gibt es gute Gründe, die zum Rückfall führten. Die Knöchelverletzung, die er sich in Kiew im Vorjahr zuzog, verheilte in der Ukraine nur schleppend, die medizinische Abteilung in Kiew versagte. Was ihm fehlte, war die Fitness. Wie anderen Angeschlagenen im Team hätte auch Dragovic eine intensivere Vorbereitung gutgetan. Dennoch gab er bei der EM alles. Er war es, der Verantwortung beim Elfmeter gegen Island übernahm, während andere zwar große Töne gespuckt hatten, aber im entscheidenden Moment zurückzogen. Und Dragovic war es auch, der nach seinem Ausschluss gegen Ungarn mit den Tränen kämpfen musste, weil ihm die Rote G sehr nahe ging. enau so war die Gefühlslage in Leverkusen. Durch den sehr späten Wechsel hatte er es schwer, das System von Trainer Roger Schmidt zu verinnerlichen. Nach einer bärenstarken Wintervorbereitung in Orlando glaubten alle an den Durchbruch. Doch im ersten Rückrundenspiel verletzte sich Dragovic nach acht Minuten. Ein neuerlicher Rückschlag, auf den einen Monat später der rabenschwarze Auftritt im Champions-League-Achtelfinale gegen Atletico Madrid folgen sollte. Es passte zu einer verkorksten Saison. O b er in Leicester sein Selbstvertrauen zurückgewinnt, wird man sehen. „Ich will der alte Drago werden“, sagt er. Ganz Österreich wünscht sich das – und zwar am besten schon in Wales.