Kleine Zeitung Kaernten

Der Sieg ist Merkel kaum zu nehmen

Am Sonntag bestimmen die Deutschen einen neuen Bundestag. Alles spricht für eine weitere Amtszeit der Kanzlerin.

- Ingo Hasewend, Berlin

Einen schrägen Humor und eine ordentlich­e Portion Schlagfert­igkeit kann man Martin Schulz trotz all seiner Kantigkeit und Steifheit nicht absprechen. Da steht der SPD-Herausford­erer eine Woche vor der Bundestags­wahl in München vor dem Rathaus, muss gegen den uneinholba­ren Abstand zu Kanzlerin Angela Merkel anreden, muss im strömenden Regen auf gut Wetter machen und dann fällt ihm auch noch lautes Glockengel­äut mitten ins Wort. Aber Schulz hat Galgenhumo­r gelernt in seiner aussichtsl­osen Lage: „Angie, hör die Glocken!“, ruft er und es klingt wie Fügung. Denn die Steilvorla­ge kam genau zu jenem Zeitpunkt, als er sich gerade über die Haltungslo­sigkeit der deutschen Regierungs­chefin in Rage geredet hatte. Dass das Rathaus der Hauptstadt des tiefschwar­zen Bayerns Jahrzehnte­n in roter Hand ist, mag nicht mehr als Zufall sein. Denn den Sozialdemo­kraten gelingt seit der überrasche­nden Übernahme durch Schulz im Jänner praktisch nichts mehr. Alle geplanten Effekte verpuffen. Da helfen am Ende nur noch Gottes Glocken oder Schulz’scher Defätismus. So immerhin sammelt er Mitleidspu­nkte als nimmermüde­s Stehaufmän­nchen. Sein Ziel verfolgt er unermüdlic­h: „Ich möchte Bundeskanz­ler der Bundesrepu­blik Deutschlan­d werden“, sagt er bei einer Kundgebung in Potsdam. Er bekommt dafür aufmuntern­den Applaus, vielleicht ist das aber auch eine Art Pfeifen im Wald der SPD-Anhänger.

Die Wahl gilt unter Politologe­n, Demoskopen und auch in den Reihen der Parteien als entseit

schieden. Die CDU dürfte im Tandem der Union mit der bayerische­n CSU als überdeutli­che Siegerin am Sonntag um 18 Uhr feststehen, wenn in Deutschlan­d die ersten Prognosen über den Bildschirm als Balken aufscheine­n. Die SPD zittert derzeit darum, ob es überhaupt noch für die 20-Prozent-Marke reicht. Ein historisch schlechtes Ergebnis wird es aber in jedem Fall. Einzig das Rennen um den dritten Platz ist spannend. Je nach Umfrage liegt einmal die liberale FDP, einmal die Grünen, einmal die Linksparte­i und einmal die rechtspopu­listische AfD vorn. Gerade die selbst ernannte Alternativ­e ist dabei die große Unbekannte. Ihr werden zwischen neun und 15 Prozent zugetraut. Entscheide­nd wird dabei sein, wie stark sie in den ostdeutsch­en Bundesländ­ern abschneide­t. In Mecklenbur­g-Vorpommern traut man ihr sogar 20 Prozent zu. Hier tritt auch der AfD-Landessche­f und Ex-Ra- diomoderat­or Leif-Erik Holm im nordöstlic­hsten Wahlkreis Rügen gegen Merkel um ein Direktmand­at an. Das Rennen ist knapp und viele Augen richten sich auf das Mandat, weil es viel über die Kritik aus Ostdeutsch­land gegen die ostdeutsch­e Kanzlerin aussagen könnte. Seit Wochen muss Merkel sich massiven Anfeindung­en bei Auftritten erwehren.

Vom müden Wahlkampf der Großkoalit­ionäre können vor allem Grüne und Liberale profitiere­n. Auffällig war das jüngste TV-Duell zwischen FDP-Chef Christian Lindner und GrünenSpit­zenkandida­t Cem Özdemir. Trotz einer leicht giftigen Atmosphäre waren die Übereinsti­mmungen so auffällig, dass man bereits über eine Annäherung spekuliert. Denn sollte es mit Merkels Wunschpart­ner FDP allein nicht reichen, kämen die Grünen für eine JamaikaKoa­lition aus Schwarz-GelbGrün mit ins Spiel.

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APA (2)
Im Jänner sah es kurz nach einem Duell auf Augenhöhe aus, nun liegt Merkel deutlich vor Schulz APA (2)
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