„Wirseparieren in einer Art Apartheid“
INTERVIEW. Rektor Oliver Vitouch, Präsident der Rektorenkonferenz, über die Gefahren unseres Studiensystems und das Problem von Grundsatzdebatten in der Bildung.
In einem Monat wird gewählt – welche Rolle nehmen bisher im Wahlkampf Bildungsthemen ein?
OLIVER VITOUCH: Jüngst war die „Vererbung von Bildung“Thema. Mein Eindruck in einem Klagenfurter Gymnasium: Die Lehrerin fragt, wie viele der 30 Erstklässler nicht Deutsch als Muttersprache haben. Ein einziges Kind zeigt auf; die Eltern sind Italiener. Wir separieren hier nach Herkunftsfamilien, in einer Art Apartheid.
Eignen sich Bildungsthemen überhaupt zum Stimmenfang? Bildungsthemen würden sich bestens dafür eignen, über die Chancen kommender Generationen zu sprechen – punkto Arbeit, Wohlstand, Pursuit of Happiness. Im Zeitalter der Digitalisierung und Automatisierung gilt das umso mehr. Aber es sind langfristige Themen, mit einem Ereignishorizont von über fünf Jahren: für manche Politiker eine kleine Ewigkeit. Zudem werden sie durch ideologische Grundsatzdebatten blockiert.
Der jüngste OECD-Bildungsbericht machte auf bekannte Schwächen des Bildungssystems aufmerksam – wo sehen Sie das größte Defizit? Neben dem Apartheidsproblem: In keinem OECD-Land wird so lange studiert wie in Österreich. Das geht mit enormem Drop-out und geringer Studienzufriedenheit einher. Unser Studienrecht möchte besonders freizügig sein und erreicht damit das genaue Gegenteil: Beliebigkeit, Frustration, Motivationsmängel.
Würden Sie die Bildungsagenda der nächsten Regierung formulieren – welche Punkte stünden ganz weit oben?
Die Bildungsangebote, von der Volksschule bis zu den Universitäten, müssen demselben Exzellenzanspruch genügen können, den die Österreicher ans Neujahrskonzert, an den Sport und an die Mehlspeisen stellen. Wir brauchen faire, leistungsbasierte Chancen auf allen Stufen, und Universitäten, die zu den besten weltweit gehören und international attraktiv sind.
Sie meinten einmal, die Politik neige zu Grundsatzerklärungen, es fehle aber an der Umsetzung. Was müsste geschehen, damit sich daran etwas ändert? Ein namhafter Amsterdamer Kollege meinte neulich: „Wir führen keine Grundsatzdebatten in den Niederlanden.“Probleme erkennen, analysieren und beherzt lösen, das ist der Kern erfolgreicher Politik.
Das Budget für die Unis wurde noch wunschgemäß erhöht, die Studienplatzfinanzierung verschoben. Überwiegt das lachende oder das weinende Auge? Ein solides Universitätsbudget ist eine notwendige Bedingung für Spitzenleistungen. Kapazitätsorientierte Studierendenzahlen ebenso. Es sind zwei lachende Augen, weil ich davon ausgehe, dass die Studienplatzfinanzierung so oder so kommen wird.
Neos-Chef Strolz will „Eliteunis für alle“, mit Studienplatzfinanzierung und Studiengebühren. Die Frage ist: Welchen Anspruch erhebt man an die Qualität von Unis? Dieser wird ein hoher sein, wir wollen nicht nur Goldmedaillen im Skifahren, sondern irgendwann auch wieder Nobelpreise. Das gänzlich ohne Studiengebühren zu versuchen, ist ein durchaus engagierter Spagat. Eliteunis für alle klingt nach Quadratur des Kreises. Wobei: Manche Uni-Systeme weltweit schaffen das.
Sie wollen die Uni Klagenfurt verstärkt auf Digitalisierungsthe-
men ausrichten. Ist Österreich auf die Herausforderungen der Digitalisierung schon einigermaßen vorbereitet? Digitalisierung ist ein Querschnittsthema: gesellschaftlich, kulturell, wirtschaftlich, rechtlich, technologisch. Sie führt zu rasanten Veränderungen, vom Verhalten im Alltag bis zur Ar- beitswelt. Selbst bei der besten Vorbereitung wird es Überraschungen geben.
Jüngst freuten sich Kärnten und die Steiermark über beachtlich steigende Forschungs- und Entwicklungs-Quoten. Ein Grund zur Freude auch für den Uni-Rektor, oder? Das ist grundsätzlich hocherfreulich, auch im Hinblick auf „Silicon Austria“. Hierzulande besteht aber die Tendenz, Forschung klein- und Entwicklung großzuschreiben. Die „Innovation Leader“unter den EU-Ländern machen das genau umgekehrt. Wo technologische Forschung draufsteht, muss auch Forschung drin sein, nicht nur Standortsubvention für Unternehmen. Sonst ist das nicht nachhaltig.