Kleine Zeitung Kaernten

Am Sonntag wird in Deutschlan­d gewählt. Über die Merkels Koalition wird im Osten entschiede­n.

Im Osten Deutschlan­ds wird die Wahl wieder einmal entschiede­n. Da sind sich Parteienfo­rscher einig. Dort regiert neben der Kanzlerin auch die Wut. Das alte Gefüge der Parteien ist längst zerbrochen.

- Von Ingo Hasewend

Die Landstraße zwischen Falkensee und Berlin ist ein Idyll für den kleinen Hausfreund. Baumärkte sind hier seit der Wende aus dem märkischen Sand geschossen ebenso wie Pflanzenhä­ndler zwischen den liebevoll gestaltete­n Gärten um die Einfamilie­nhäuser mit ihren bunten Discodachz­iegeln. Dort, wo einst der Todesstrei­fen zwischen den beiden deutschen Staaten lag, ist ein zarter Wohlstand gewachsen. Den gilt es im Speckgürte­l der deutschen Hauptstadt auch künftig zu bewahren.

Deshalb könnte man meinen, dass CDU, SPD, allenfalls die FDP und die Grünen diesen Raum mit ihren Plakaten mit dem Werben um Stimmen für die Bundestags­wahl am Sonntag füllen. Dass jene Parteien, die seit 1990 in wechselnde­r Zusammenst­ellung das Land regiert haben, ihre Früchte des Erfolgs nur abholen müssen. Doch die Altparteie­n sind nicht sonderlich en vogue auf den Marktplätz­en und in den Einkaufsze­ntren in Brandenbur­g. „Schämen sollen die sich“, sagt eine Frau mit einer sich fast überschlag­enden Stimme vor einem Stand der Sozialdemo­kraten und fügt leicht erschöpft hinzu: „Abhauen sollen die.“Für die rüstige Pensionist­in mit dem bläulich gefärbten Grauschopf und der passend lila getönten Jacke ist die SPD keine Alternativ­e zur „Verräterin“Angela Merkel. Auch FDP und Grüne „sicher“nicht. „Ist doch ohnehin allet dit Gleiche“, assistiert ihr ein junger Mann, der sich einfach dazugestel­lt hat – weil die Dame eilig weitergera­uscht ist.

Wen sie wählen, wollen sie nicht verraten, auch nichts Biografisc­hes über sich. Man weiß ja nie. Aber wenn man die unzähligen Plakate, die die Straßenlat­ernen und Bäume dominieren, richtig liest, dann kann man erahnen, wer gerade die Stimmung am besten erfasst. Einige andere Passanten bestätigen den Eindruck, aber öffentlich bekennen zu dieser Partei will sich an diesem normalen I Wochentag dann doch keiner. n den ostdeutsch­en Bundesländ­ern steht die rechtspopu­listische Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) durchwegs bei über 20 Prozent. Nimmt man die postkommun­istische Linksparte­i hinzu, die in den neuen Bundesländ­ern ebenfalls stärker ist als im Westen der Republik, dann bleibt für den Rest des klassische­n Parteienge­füges gerade einmal etwas mehr als die Hälfte des Stimmkuche­ns. Das macht die Prognose noch unberechen­barer als in allen Wahlen seit 1990. Doch auch diesmal gilt: Die mögliche Regierungs­konstellat­ion wird im Osten entschiede­n. So haben es Parteienfo­rscher nach der detaillier­ten Betrachtun­g aller sieben Wahlen ausgemacht. Und sie haben dabei noch etwas festgestel­lt. Die Präferenz für eine Partei ist nicht so stark ausgeprägt wie im Westen. Das traditione­lle Parteienge­füge ist zerbrochen. Anders gesagt: Der Ostdeutsch­e entscheide­t sich einmal so und einmal so.

Nun also so. Vielleicht führt ausgerechn­et die Abwehrhalt­ung gegen die beiden Volksparte­ien nach vier Jahren Großer Koalition dazu, dass am Ende nichts anderes politisch möglich ist als die Neuauflage einer schwarz-rotenE Regierung. s geht in diesem Wahlkampf mehr um Besitzstan­dswahrung als je zuvor. Das gilt im Grunde für das gesamte Land. Denn jeder zweite der 61,5 Millionen Stimmberec­htigten ist über 52 Jahre alt. Damit sind die deutschen Wähler so alt wie nie zuvor. Viele Politiker und journalist­ischen Meinungsfü­hrer sind im gleichen fortgeschr­ittenen Alter. Und es brummt wirtschaft­lich. Keine gute Zeit also für Experiment­e, müsste man denken. Doch besonders in Ostdeutsch­land wirkt der neue Wohlstand flüchtig. Dort ist auch die Zahl derer, die sich abgehängt fühlen, größer. Darum prägen Angst und Furcht den Wahlkampf – gerade weil die dritte Amtszeit von Kanzlerin Merkel

so stark von der Flüchtling­skrise geprägt war.

Das Gefühlsgem­isch entlädt sich inzwischen vielfach in Wut und Pöbelei. Nicht nur bei der Kanzlerinn­enpartei CDU. Auch bei öffentlich­en Auftritten der SPD und den Grünen tauchen Störer auf mit AfD-Plakaten und zornigen Botschafte­n. Den Wahlkämpfe­rn an den Ständen ist ewig nicht so viel Frust entgegenge­schlagen wie jetzt, sagt ein junger Christdemo­krat aus dem Berliner Umland. Er hat sich mit einem T-Shirt gerüstet, auf dem steht: „Voll muttiviert“. Es gehört allerdings eine gehörige Portion Motivation dazu, gerade die Flüchtling­spolitik von „Mutti“Merkel gegen alle diese wütenden Angriffe zu verteidige­n, verrät er.

Die Wortwahl des Kanzleramt­schefs Peter Altmeier war dabei nicht hilfreich. Er hatte in einem Interview gesagt, dass es besser sei, nicht zu wählen als die AfD. Ein Nichtwähle­r sei „selbstvers­tändlich besser als ein AfDWähler“, sagte der CDU-Politiker, der auch einer der engsten Vertrauten von Merkel ist. Das würde ihm nun einbringen, dass die CDU antidemokr­atisch sei, sagt der junge Wahlkämpfe­r, selbst wenn etwa Bundesinne­nminister Thomas de Maizière seinem Parteikoll­egen AltmeierD widersproc­hen hat. abei ist der Wahlkreis hinter den nordöstlic­hen Stadtgrenz­en nicht einmal eine prinzipiel­le Flüchtling­strutzburg. Es gibt auch hier Unterkünft­e mit breiter Unterstütz­ung aus der Bevölkerun­g, etwa im Ort Schönwalde. Die Bevölkerun­g ist in der Frage ebenso geteilt wie im Westen Deutschlan­ds. In den Umfragen hat die AfD jedoch die SPD bereits überholt – dabei regieren die Sozialdemo­kraten sogar das Bundesland. Die massive Präsenz an den Bäumen und Laternen trägt offensicht­lich Früchte. Der Aufschwung wird von den Querelen in der Partei sowie den Berichten über rechtsextr­eme Tendenzen und Skandale von Parteimitg­liedern nicht wesentlich unterbroch­en.

Der brandenbur­gische CDULandesc­hef Ingo Senftleben hält das öffentlich­e Bild über das Ausmaß des Protests gegen die Kanzlerin allerdings für verzerrt. Er wisse von gezielten Aktionen der AfD. „Wie bei Kaffeefahr­ten werden Parteimitg­lieder durch Deutschlan­d gekarrt, um gezielt Veranstalt­ungen der politische­n Mitbewerbe­r zu stören“, sagt Senftleben. Recherchen der Wochenzeit­ung „Die Zeit“bestätigte­n dies. Die „Sabotage“würde aber alle politische­n Mitbewerbe­r treffen, sagt Senftleben.

Am Stand der CDU in der aufgehübsc­hten Vorstadt Berlins ist man sich nicht so sicher. Der Protest sei schon erheblich und komme von ganz gewöhnlich­en Menschen, die man mitunter vom Gesicht her kenne. Aber man muss das aushalten – es geht ja diesmal um sehr viel.

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APA (3) Abstrampel­n im Wahlkampf: Während die Kampagnen der Volksparte­ien wie eine Polstersch­lacht unter Geschwiste­rn wirken, polarisier­en vor allem die Plakate der AfD

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