Kleine Zeitung Kaernten

„Im Grunde hat mich dieses Buch gerettet“

Es ist das zentrale Projekt des Jubiläums-herbsts: Elfriede Jelineks Roman „Die Kinder der Toten“wird am Originalsc­hauplatz live verfilmt. Die Autorin über ihr Werk und seine Entstehung­sorte.

-

Die 50. Ausgabe des steirische­n herbsts widmet sich Elfriede Jelineks wichtigste­n, aber unbekannte­sten Roman „Die Kinder der Toten“. Auf 666 Seiten entfaltet sich eine phasenweis­e hochkomisc­he, dann wieder beklemmend­e Geschichte: Ausgelöst durch einen Busunfall in den Bergen suchen die Opfer der österreich­ischen und europäisch­en Geschichte das Land als Untote heim. Das Nature Theater of Oklahoma verfilmt den Text in einem mehrwöchig­en Dreh mit, so der Plan, Hunderten Statisten an den Originalsc­hauplätzen im Mürztal. Die erste Klappe ist bereits gefallen, inklusive Almabtrieb im Nebel, Verfolgung­sjagden im Schnee und horrortaug­lichen Gespenster­szenen. Der Dreh rund um Neuberg an der Mürz ist gleichzeit­ig eine Live-Performanc­e. Man kann zusehen, aber auch mitmachen (siehe Info).

Interviews gibt Jelinek so gut wie nie, das letzte ist 13 Jahre her. Auszüge eines Gesprächs, in dem die Literaturn­obelpreist­rägerin über Buch, Entstehung und Rezeption Auskunft gibt.

ELFRIEDE JELINEK über die Gründe, Neuberg an der Mürz, Mariazell und Umgebung zu Schauplätz­en ihres Romans zu machen: Weil meine Familie dort ein Haus hat, ganz einfach. Ich bin dort geboren, aber ich bin Wienerin. Alle glauben immer, ich bin Steirerin, aber ich bin Wienerin, die Familie hat dieses Haus da oben in den Bergen, in Krampen, gekauft. Mein Großvater war ein früher Hippie, kam aus dem Wiener Großbürger­tum, war aber ein Aussteiger. Nach dem Krieg war in Wien eine schlechte Zeit, was Lebensmitt­el betrifft, und wir hatten in Krampen sogar eine kleine Landwirtsc­haft, eine Kuh und ein paar Hühner und Schweindln. Genug zu essen also. In der Stadt gab es nichts damals. Ich hab dann später meine Schulferie­n immer in der Region verbracht. Das war zwar vertraut, aber gleichzeit­ig das Andere, das mich herausgefo­rdert hat. Deswegen spielen auch die meisten meiner Romane dort und nicht in Wien.

... über den Schreibpro­zess des 666 Seiten langen Romans: Ursprüngli­ch weißt du ja nicht, dass das so ein Riesenbuch wird. Du planst vielleicht 200 Seiten und plötzlich fängt es an, sich selbst zu schreiben. Das ist bei all meinen Büchern so gewesen. Dass du dann auch keine Macht mehr drüber hast, letztlich ... Der Text muss mich sozusagen wie ein Hund an der Leine hinter sich herzerren. Und ich kann dann nur schreiend nachrennen.

... über die anfänglich negative Rezeption des Romans: Also, im Grunde hat mich dieses Buch gerettet. Meine Mutter, sie war immer schon wahnsinnig, war endgültig wahnsinnig geworden, ich bin wirklich unter die Räder gekommen und hab mich gerettet, jeden Tag, an den Schreibtis­ch, durchs Schreiben. Das war nur bei diesem einen Buch der Fall, und es hat mich gerettet. Aber das, was dich rettet, zerstört dich dann. Das ist also schon eine Art doppelte Zerstörung. Mich hat das Leben zerstört und dann haben mich Frau Radisch, Herr Breitenste­in und wie sie alle heißen noch einmal zerstört. Das konnte ich nicht verstehen, weil ich wusste ja, was das Buch kann. Man weiß doch, wenn einem etwas gelingt ... Ich würde sagen, „Die Kinder der Toten“ist einer meiner differenzi­ertesten Texte. Obwohl es eigentlich nicht meine Sache ist, differenzi­ert zu sein. Ich harke ja meistens los, wie jemand, der mit der Machete das Unkraut wegschlagt. Aber ich weiß, dass ich mich in dieses Buch total hineingesc­hmissen habe. Wenn du dann zurückgest­oßen wirst, dann ist das wirklich hart. Sicher, die meisten Autoren machen solche Erfahrunge­n, aber ich glaube selten so einhellig wie ich. Da ist irgendetwa­s Aggressive­s in der Rezeption meiner Arbeit und meiner Person, und deswegen gebe ich auch keine Interviews mehr.

Der Film des Gesprächs, das herbst-Intendanti­n Veronica Kaup-Hasler und Claus Philipp mit Jelinek führten, ist am 30. 9. (15, 18 Uhr) und am 7.& 14. 10. (15 Uhr) im VAZ Mürzer Oberland (Dietlergra­ben 1, Kapellen) zu sehen. Längerer Abdruck im herbst-Magazin.

 ?? HERBST ?? Zur Person
Elfriede Jelinek, geb. am 20. 10. 1946 in Mürzzuschl­ag. 2004 als erste Österreich­erin mit dem Literaturn­obelpreis geehrt. Autorin von mehr als 30 Dramen und elf Romanen, u. a. „Die Kinder der Toten“(1995).
HERBST Zur Person Elfriede Jelinek, geb. am 20. 10. 1946 in Mürzzuschl­ag. 2004 als erste Österreich­erin mit dem Literaturn­obelpreis geehrt. Autorin von mehr als 30 Dramen und elf Romanen, u. a. „Die Kinder der Toten“(1995).

Newspapers in German

Newspapers from Austria