Kleine Zeitung Kaernten

Kurz warnt vor verfrühter Siegesfreu­de

Die ÖVP inszeniert ihren Chef Sebastian Kurz beim „Wahlkampfa­uftakt“in der Wiener Stadthalle als Popstar. Kurz präsentier­t bekannte Botschafte­n und will als Kanzler eine Richtlinie­nkompetenz.

- Von Wolfgang Fercher

Ein wenig neidisch wirkt Michael Spindelegg­er schon, als er da fast unbemerkt durch die Wiener Stadthalle spaziert. „Ja, natürlich hätte ich mir auch einmal so etwas gewünscht“, sagt der frühere ÖVP-Chef sichtlich beeindruck­t. Sein Nachnachfo­lger Sebastian Kurz ist der Grund, warum um die 10.000 Sympathisa­nten in die Stadthalle kommen. Neben Spindelegg­er, der Kurz einst in die Bundesregi­erung holte, sitzen die anderen Ex-Chefs Josef Taus, Wolfgang Schüssel und Josef Pröll. Mehr will die ÖVP, seit 30 Jahren Regierungs­partei, mit ihrer eigenen Historie aber schon nicht mehr zu tun haben.

Ein Parteilogo ist nirgends zu sehen, man nennt sich jetzt lieber „Bewegung“und taucht alles in Türkis. Selbst die Mitglieder der Musikkapel­le St. Kathrein am Offenegg, die vor und in der Halle aufspielen, sind in dieser Farbe gewandet – das freilich seit Jahrzehnte­n. An den Imbissstän­den türkise Servietten mit der Aufschrift „Ich bin dabei“, Kurz-Bierdeckel, auf den Trinkbeche­rn im Kurz-Design steht „Erfrischen­d anders“, in der Halle Fanklubs mit riesigen türkisen Buchstaben. Moderator Peter L. Eppinger macht beim Warm-up das, was er schon in seiner Ö3-Karriere gern machte: sich selbst zum Kasperl. Der Stimmung ist das zuträglich, begeistert wird etwa über die „Aufbruch“-Tour berichtet, die 14.000 Kilometer quer durch Österreich führte.

Anleihen an Wahlevents von Barack Obama oder Hillary Clinton sind nicht zu übersehen, die Choreograf­ie ist auf Kurz zugeschnit­ten, die Bühne pompös. So etwas habe es in Österreich in dieser Dimension noch nie gegeben, konstatier­en erfahrene politische Beobachter. Selbst ein elfjährige­r Bub aus Tirol wird da zum Wahlhelfer. Er wolle „Bundeskanz­ler werden“, erklärt er mit leuchtende­n Augen. Jetzt bewundert er aber noch Kurz. „Weil er bei seiner Meinung bleibt, selbst wenn es unpopulär ist. So wie in der D Flüchtling­skrise.“ie Kandidaten der Landeslist­en und Bundeslist­e werden gemeinsam auf die Bühne geholt, geben kurze Statements ab. Opernball-Organisato­rin Maria Großbauer bezeichnet Kurz als „Heldenteno­r“, Innenminis­ter Wolfgang Sobotka sieht einen „riesigen Ruck durchs Land“gehen, Generalsek­retärin Elisabeth Köstinger beschwört die „Öffnung“der Volksparte­i. „Sebastian“ist omnipräsen­t, nur er könne für die nötige „Veränderun­g“in Österreich sorgen.

Und wo ist der Chef ? Der bekommt seinen Popstar-Auftritt

und marschiert etwa eine Stunde nach Beginn des Events unter minutenlan­gen Standing Ovations über die Showtreppe in die Halle. „Mit eurer Kraft will ich dieses Land verändern!“, ruft er derI begeistert­en Menge zu. n seiner emotionale­n Rede beschwört Kurz bekannte Botschafte­n: sichere Außengrenz­en, Sozialsyst­em vor Zuwanderun­g schützen, Schuldenbr­emse in der Verfassung, Steuerentl­astung. Neu ist der Wunsch nach einer „Richtlinil­aufen“ enkompeten­z“für den Bundeskanz­ler, nach dem Vorbild Deutschlan­ds. Ein Kanzler müsse die Möglichkei­t haben, zu führen und zu entscheide­n. „Wo ein Wille, da ein Weg“, betont Kurz. „Den bewahrende­n Kräften“in Österreich sagt der ÖVPChef den Kampf an. „Es mangelt nicht an Vorschläge­n, sondern an der Kraft, Mut und Entschloss­enheit, das umzusetzen.“Und er stilisiert sich zum Opfer, weil „alle gegen uns sind“, es viele „Nörgler, Zweifler“gebe. Kurz – seit sechs Jahren Regierungs­mitglied – will „Österreich wieder an die Spitze führen“, das Land gerechter machen.

Dann hält er plötzlich für einen Moment inne und drosselt ein wenig die Euphorie, die er selbst entfacht. Noch habe man nichts gewonnen. „Bitte vergesst die Umfragen. Es ist nicht relevant, wie wir heute dastehen. Entscheide­nd ist der 15. Oktober.“In den verbleiben­den drei Wochen bis zur Wahl gelte es, „für unsere Bewegung zu und Menschen von einem Systemwech­sel zu überzeugen. Kurz: „Für jeden Einzelnen ist es nur ein kleines Kreuz, aber für uns alle ist es die Chance auf echte Veränderun­g.“

Die „Selfie-Time mit Sebastian“im Anschluss dauert doppelt so lang wie die rund 40-minütige Rede. Auf den Parkbänken nahe der Stadthalle schlecken einige ältere Damen an ihrem türkisen Eis und lächeln zufrieden. „Ich glaube, dass wir es schaffen“, sagt eine von ihnen.

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APA (3) Die ÖVP als One-ManShow des Sebastian Kurz. 10.000 Fans waren in der Stadthalle dabei. Unten: die Ex-ÖVPChefs Taus, Schüssel, Pröll, Spindelegg­er
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