Merkels bitterster Sieg
Die Kanzlerin verteidigt bei der deutschen Bundestagswahl unter schweren Verlusten den ersten Platz. Die SPD will in die Opposition. Die rechte AfD wird zur drittstärksten Kraft.
Die Volksparteien sind aus der Bundestagswahl mit Ergebnissen auf historischem Tiefstand hervorgegangen. Die SPD unter ihrem Spitzenkandidaten Martin Schulz erreicht ihren schlechtesten Wert der deutschen Nachkriegsgeschichte und schloss daraufhin eine weitere Regierungsbeteiligung mit der Union aus CDU und CSU aus.
Damit muss CDU-Chefin Angela Merkel für eine vierte Amtszeit als Bundeskanzlerin sowohl die FDP als auch die Grünen für eine gemeinsame Koalition gewinnen. Außer diesem sogenannten JamaikaBündnis gäbe es nur eine rechnerische Mehrheit für die Große Koalition aus Union und SPD.
Die Union erreichte ihr schlechtestes Bundestagswahl-Ergebnis seit 1949. Besonders hohe Verluste verzeichnete sie in Baden-Württemberg und Bayern, wo die CSU mehr als zehn Prozentpunkte einbüßte. Merkel betonte dennoch, CDU und CSU hätten beide ihre strategischen Ziele erreicht: „Wir sind klar stärkste Kraft geworden“, sagte sie. Zudem sei es nicht möglich, eine Regierung gegen sie zu bilden.
Historisch ist auch der Einzug der Alternative für Deutschland (AfD) in den Bundestag, der es zudem klar gelang, drittstärkste Kraft zu werden. Damit wird erstmals seit den 50er-Jahren eine Partei, die politisch rechts der Union steht, im nationalen Parlament vertreten sein. Vor vier Jahren hatten ihr noch 0,3 Punkte zum Überwinden der Fünf-Pro- zent-Hürde gefehlt. In Ostdeutschland ist die AfD zweitstärkste Partei geworden. Sieger ist auch hier: die CDU.
Auch die FDP, die 2013 erstmals den Einzug knapp verpasst hatte, schaffte es nun zurück in den Bundestag. Grüne und Linke blieben gegenüber 2013 nahezu stabil. Damit wird es künftig – erstmals seit 1953 – sieben Parteien in sechs Fraktionen im Bundestag geben. Sowohl FDP-Chef Christian Lindner als auch Grünen-Spitzenkandidatin Katrin GoeringEckardt machten eine Regierungsbeteiligung am Abend
von den Inhalten abhängig, die sie dabei durchsetzen könnten.
Die SPD hatte bereits kurz nach der ersten Prognose überraschend schnell verkündet, dass sie in die Opposition gehen werde. Darauf verständigte sich die Parteispitze unmittelbar nach Bekanntwerden des Ergebnisses. Schulz, der im März mit 100 Prozent der Stimmen zum Parteivorsitzenden gewählt worden war, will sein Amt aber behalten. Auch er schloss eine neue Große Koalition definitiv aus. Schon am frühen Abend griff er Merkel scharf an und gab ihr eine Mitschuld am Einzug der AfD. Oppositionsführer will Schulz aber nicht werden. Er kündigte an, der Bundestagsfraktion am Mittwoch einen Vorschlag unterbreiten zu wollen. Als aussichtsreiche Kandidatin gilt Arbeitsministerin Andrea Nahles.
Es ist kein Geheimnis, dass viele in der SPD – auch Schulz – bei einem besseren Wahlergebnis lieber noch einmal eine Regierungsbeteiligung angestrebt hätten. Während es in der Regierung viele interessante Jobs zu vergeben gibt, bedeutet ein Gang in die Opposition in aller Regel für viele einen Dämpfer oder gar das Ende der Karriereambitionen. Und: Wer regiert, kann Konzepte umsetzen. Wer in der Opposition sitzt, kann sie nur verfassen. Zudem bleibt die Frage offen, wie die SPD-Spitze sich verhalten würde, wenn Sondierungen über eine Jamaika-Koalition scheiterten.
Merkel sagt, die AfD im Bundestag sei eine große neue Herausforderung. Man wolle deren Wähler nun zurückgewinnen, „durch Lösung von Probleme, Aufnahme der Angst von Leuten und vor allem durch gute Politik“. Das ist deutlich weniger scharf als Schulz, der der AfD offensiv den Kampf ansagt. Es passt zu Merkels Strategie, ihre Gegner nicht zu hoch zu reden. Auf ihren Kundgebungen hat sie nicht Jubel gehört, sondern vor allem Pfiffe und Geschrei von AfD-Anhängern, vor allem den Ruf „Merkel muss weg“. Den Ruf hört Merkel in der CDU an diesem Abend nicht. Das schlechte Ergebnis werde ihre Position am Rückhalt nichts ändern, heißt es in der CDU.