Rot in Erklärungsnot
SPÖ-Chef Christian Kern setzt eine Taskforce ein, die klären soll, was die Partei mit der Schmutzkübelkampagne gegen Sebastian Kurz zu tun hat.
Es war der ungünstigste Tag für Christian Kern, sich seinen fünf Gegenkandidaten zu stellen. Am Nachmittag hatte er versucht, mit einer Erklärung (siehe Seite 4/5) die Affäre um die Schmutzkübelkampagne noch vor der Debatte vom Tisch zu bekommen, die Tal Silberstein für die SPÖ lanciert hatte. Sie holte ihn dennoch ein.
Die Moderatoren wollten von Kern wissen, ob er tatsächlich nichts von den gefälschten, gegen Sebastian Kurz gerichteten Facebook-Seiten gewusst habe. Kern entschied sich, zum Gegenangriff überzugehen. Er warnte vor Schwarz-Blau, klagte über Angriffe auf seine Person und auf seine Frau und sagte zuletzt gar: „Wir sind die Geschädigten.“Kern gab aber zu, er habe „so wenig wie der Rest der Öffentlichkeit“verstanden, dass es „keine Kontrolle über diese Vorgänge gegeben habe“ und dass der Chef der Kampagne – der am Samstag überstürzt zurückgetretene SPÖGeschäftsführer und Kampagnenleiter Georg Niedermühlbichler – nichts davon wisse. Wie schon in seiner Stellungnahme behauptete Kern erneut, die gefälschten Facebook-Seiten seien erst dann richtig aggressiv geworden, als sich die SPÖ von ihrem Berater Tal Silberstein getrennt hatte. Warum die Partei nicht selbst dafür gesorgt hatte, die Aktivitäten einzustellen, sagt Kern nicht.
Sebastian Kurz erinnerte Kern daran, dass er die Rolle Silbersteins stets heruntergespielt hatte, ihn als Interpreten von Umfragen dargestellt hatte. In Wahrheit habe er den Berater eben dafür geholt, „wofür er berühmt ist – negative campaigning“, also Schmutzkübelkampagnen. Er wollte von Kern wissen, wer die zwölf Leute finanziert habe, die an diesen Seiten gearbeitet haben, und lobte Niedermühlbichler für seinen Rücktritt, nachdem bekannt wurde, dass die Seiten Teil der Silberstein-Kampagne für die SPÖ gewesen waren. Wer die Sache beauftragt hat, bleibe aber im Dunkeln.
Heinz-Christian Strache erinnerte daran, dass schon im Jänner Verdachtsmomente gegen Silberstein vorlagen, Kern sie damals aber als „Unsinn“abgetan habe, bis zur Verhaftung des Beraters aufgrund von Korruptionsvorwürfen in Israel. Dass Kern von dessen Aktivitäten nichts gewusst haben soll, nehme er ihm nicht ab. „Das ist keine Affäre Silberstein, das ist eine Kern-Affäre“, sagte Strache. Er verstehe als Realist aber, dass Kern seiner Partei einen Rücktritt nicht zumuten könne.
Jetzt erst sagt Kern, er finde die Seiten „widerlich“, einerseits gegenüber seinen Mitarbeitern, „aber auch gegenüber Sebastian Kurz“. Für das Engagement Silbersteins übernahm
Kern ausdrücklich die Verantwortung.
Ulrike Lunacek von den Grünen sagte, sie hätte von Kern auch eine Entschuldigung erwartet – „auch an ihre Wähler“. Kern erwiderte, das Schlimmste sei „nicht in unserer Küche gekocht“worden, und deutete damit an, die Seiten wären nach der Kündigung Silbersteins von anderen weiterbetrieben worden, zum Schaden der SPÖ. Neos-Chef Matthias Strolz sagte lapidar: „Darum haben wir eine neue Bewegung gegründet. Auf die Frage, warum die Neos mit Silberstein in Wien gearbeitet haben, differenzierte Strolz, auf Bundesebene habe er ihn nie engagiert. Er plädierte für restlose Transparenz bei den Wahlkampfaufgaben, auch die Ausgaben der Ministerien will er einbeziehen. Außerdem plädiert er für die Halbierung der Parteienfinanzierung.
Peter Pilz punktete mit dem Einwurf, „zu den wesentlichen Themen zu kommen“. Zum Beispiel Steuersenkung: Die Moderatoren trugen Bier aus im Umfang der versprochenen Steuersenkungen. Kern hielt sein Seidl gegen Kurz’ Krügerl, das für 14 Milliarden Einsparung steht. Da stehe Machbarkeit gegen Versprechen, die nie umgesetzt würden, sagte Kern. Lunacek konnte sich nicht erinnern, dass ihre Partei acht Milliarden Steuersenkungen versprochen habe. Die Moderatoren verweisen auf die Pressestelle. Kurz verwies auf Deutschland oder die Schweiz, „die schaffen es auch, mit weniger auszukommen“. Wie auch Strache wolle er nicht weniger Leistungen, aber mehr Effizienz. Peter Pilz schlägt vor, die Höchstbeitragsgrundlage bei Krankenversicherungen abzuschaffen und internationale Großkonzerne zu besteuern. Dem Verweis von Strolz, das müsse auf europäischer Ebene passieren, widersprach Pilz. Das sei eine Ausrede, die Sache lasse sich national regeln.
In der Migrationsfrage prallten die bekannten Positionen der sechs Kandidaten aufeinander. Heinz-Christian Strache versuchte, die Urheberschaft für die Position von Kurz zu betonen. Kurz versuchte, sich von der Regierung, der er nach wie vor angehört, abzugrenzen, und sprach vom Gegenwind der SPÖ, nicht ohne Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil Rosen zu streuen. Mit diesem habe sich vieles leichter machen lassen, was seiner Ansicht nach zu tun gewesen wäre.
Ulrike Lunacek und Peter Pilz waren sich einig, dass die Senkung der Mindestsicherung keine gute Idee ist, da sie zu Verelendung führe. Strolz brachte wieder seine Idee einer Städtepartnerschaft mit afrikanischen Kommunen ins Spiel. Kern wies auf die Komplexität des Themas hin und warf Kurz und Strache vor, grob zu vereinfachen.
Am Ende kam der Kanzler noch einmal auf die Silberstein- Affäre zurück. Kurz habe von zwölf Mitarbeitern gesprochen, die für die Facebook-Seiten arbeiteten. Die Zahl habe er nicht gekannt, sie auch nirgendwo gelesen. Kurz habe offenbar Insiderwissen, ob er das nicht mit ihm teilen könnte? Kurz war sichtlich überrascht. Er habe in den letzten Tagen mit vielen Journalisten gesprochen, dabei seien mehrere Zahlen kursiert. Gelegenheit für Christian Kern, darauf hinzuweisen, dass der Leiter des Unternehmens Facebook ein ehemaliger ÖVP-Mitarbeiter gewesen sei. Kurz replizierte mit einer Wiederholung der Fragen an die SPÖ: wer die Sache bezahlt, wer von ihr gewusst habe. Kern regt lachend an, die Aufklärung gemeinsam voranzutreiben.
Die Politikberater Peter Hajek und Thomas Hofer waren sich einig, der versuchte Ausbruchsversuch Kerns habe die Sache so kurz vor der Wahl nicht aus der Welt geschafft.