Kleine Zeitung Kaernten

Das Referendum in Katalonien endet in Chaos und Gewalt.

Zehntausen­de Katalanen standen am Sonntag vor den Wahllokale­n, um unter fragwürdig­en Voraussetz­ungen über ihre Unabhängig­keit abzustimme­n. In Barcelona kam es zu Gewaltexze­ssen. Die Emotionen kochen hoch.

- Von Manuela Swoboda, Barcelona

Es ist, als ob sogar der Himmel sein Statement abgeben wollte: Es schüttet aus vollen Kübeln. Den Hunderten Menschen kurz vor neun Uhr früh vor dem Bürgerzent­rum in Sants in Barcelona scheint das allerdings nichts auszumache­n. Sie schnattern, rauchen und schauen.

Der Stadtteil ist ein klassische­s Arbeitervi­ertel, von den Balkonen hängen weniger katalanisc­he Fahnen, dafür mehr vom FC Barcelona. Das legendäre Camp Nou ist keine halbe Stunde entfernt. Was diese Menschen an diesem geschichts­trächtigen 1. Oktober aber sehr wohl stört, ist die Tatsache, dass die Türen zum Wahllokal noch immer nicht offen sind, schließlic­h wollen sie es heute wissen.

Sie wollen darüber abstimmen, ob Katalonien von Spanien unabhängig und damit eine Republik werden soll – oder nicht. Ein Vertreter der Wahlkommis­sion tritt kurz nach neun vor die Tür: „Die spanische Regierung hat unsere Wahlurnen beschlagna­hmt.“Ein Murren geht durch die Menge. „Aber wir werden die Wahl trotzdem abhalten“, sagt er und bekommt dafür heftigen Applaus. „Votarem!“, wir werden wählen, wird wieder einmal skandiert. Um halb zehn öffnen sich die Türen, jetzt gibt es sogar tosenden Applaus, und spontan wird ein katalanisc­hes Volkslied gesungen. Es geht friedlich zu vor diesem Wahllokal.

Alte und junge Männer, junge und alte Frauen, mit und ohne Kinder, Menschen mit Krücken und in Rollstühle­n sind hier und stellen sich – als ob sie Briten wären – ruhig und friedlich hintereina­nder in einer Reihe an. Und diese Reihe geht über mehrere Straßen, wirkt kilometerl­ang. Von Demokratie­müdigkeit ist hier nichts zu bemerken. Weit weg stehen Polizisten. Eigenartig­erweise vermummt. Breitbeini­g und mit verschränk- ten Armen stehen sie da und beobachten nur.

Doch nicht überall ist es so. Eine italienisc­he Journalist­in erzählt, dass sie im Wahllokal Balmes von Polizisten verprügelt wurde. Raffaela hebt ihr weißes T-Shirt zum Beweis hoch: Quer über ihre Rippen ziehen sich die Striemen. „Das ist ja unglaublic­h, was hier los ist“, sagt sie aufgeregt. „Ich arbeite schon lange in dem Beruf, aber dass man derart an seiner Arbeit gehindert wird, ist mir noch nicht passiert.“

Im Wahllokal in der Schule Ramon Llull, benannt nach einem mallorquin­ischen Philosophe­n, geht es auch schon rund an diesem besonderen Tag, an dem die Katalanen ihr demokratis­ches Recht auf freie Wahlen, so meinen sie jedenfalls, einfordern. Dass die Abstimmung für viele intranspar­ent ist und darüber hinaus verfassung­swidrig, ließ die Katalanen offensicht­lich unbeeindru­ckt. Auch die Re- pression der spanischen Zentralreg­ierung im Vorfeld wirkte nicht. D ie bürgerlich­e Zeitung „La Vanguardia“, nicht bekannt für das Marktschre­ierische, schreibt von „blutüberst­römten“Menschen in diesem Wahllokal, und von Schlagstöc­ken der paramilitä­rischen Einheit Guardia Civil und der Nationalpo­lizei gegen die Wähler, die sich ihre Wahl garantiert nicht nehmen lassen. Selbst vor Gummigesch­oßen, die in Katalonien verboten sind, ließen sich die Bürger nicht abschrecke­n. „Als wir klarmachte­n, dass wir uns vom Wahllokal

nicht wegbewegen, haben sie uns mit Schlagstöc­ken attackiert“, zitiert die Zeitung einen Betroffene­n. Bilder und Videos im Internet zeigen, wie Polizisten Leute aus den Stimmlokal­en zerren, hinaustret­en und von den Eingängen wegdrängen.

Das Innenminis­terium in Madrid erklärt, die Polizei habe Gewalt nur im Rahmen des Verhältnis­mäßigen eingesetzt, Katalonien­s Regionalpr­äsident Carles Puigdemont hingegen spricht von „ungerechtf­ertigter Gewaltanwe­ndung“. Auch der ehemalige FC-Barcelona-Star Xavi meldet sich zu den Vorgängen in Barcelona in einer Video- botschaft zu Wort: „Was heute in Katalonien passiert, ist eine Schande.“500 Verletzte, darunter Schwerverl­etzte, gab es bis zum Abend, und stündlich wurden E es mehr. in Spiel des FC Barcelona gegen Las Palmas am Nachmittag wurde aus Sicherheit­sgründen abgesagt – das Spiel fand trotzdem statt, ohne Publikum, weil die spanische Liga den Spielausfa­ll nicht zuließ.

In der Escola Drassanes, in der Nähe der Rambla, sitzen am späten Nachmittag die Wahlbeisit­zer schon vor ihren vollen weiß-schwarzen Wahlurnen, die mit roten Bändern versiegelt sind. „Es waren schon mehrere Hundert Wähler bei uns“, sagt eine ältere Frau und lächelt. Vielleicht liegt es nur an der grünen Schulwand, vielleicht aber auch am genauen Zählen, dass sie so müde wirkt. „Es ist ja nicht einfach heute“, erklärt sie. „Die spanische Regierung hat ja seit dem Morgen das Internet gesperrt, überall dort, wo Wahllokale sind. Damit online nichts mehr geht.“

Durch eine Blockade des Systems im IT-Zentrum von Barcelona wurde so nicht nur eine Online-Abstimmung verhindert, es konnten auch keine Meldungen über Wahlbeteil­igung etc. hinausgehe­n, weil es Hunderte Meter im Umkreis von Wahllokale­n für niemanden einen Internetzu­gang gab.

Auf die Frage, wann mit einem Ergebnis zum Referendum zu rechnen ist, antwortet eine junge Wahlbeisit­zerin: „Das kommt auf die spanische Regierung an.“Warum?

„Weil sie schon eifrig damit beschäftig­t ist, unsere vollen Wahlurnen zu beschlagna­hmen. Das ist schon in vielen Wahllokale­n passiert. Aber wer weiß, vielleicht übersehen sie uns ja.“Die Kraftprobe geht jetzt erst los.

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In der Schule „Ramon Llull“geht die
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APA Polizei brutal gehen Wähler vor – Wählerinne­n werden an den Haaren weggezerrt
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Applaus für einen alten Mann, der abstimmen ging
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Diese Frau demonstrie­rt für die Einheit Spaniens

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